US-Wahlen: „Trump-Sieg hätte langfristig negative Effekte“

Key Takeaways
  • Von Kamala Harris sind keine wesentliche Änderung zur Biden-Politik zu erwarten.
  • Ein Sieg von Donald Trump könnte an der Börse ein Strohfeuer entfachen.
  • Langfristig drohen mit Trump aber Wirtschaftskriege, Inflation und Wohlfahrtsverluste.
Porträt von Dr. Michael Heise Chefökonom des Multi Family Office HQ Trust
Porträt von Dr. Michael Heise Chefökonom des Multi Family Office HQ Trust
Dr. Michael Heise
Chefökonom
Dr. Michael Heise ist Chefökonom des Multi Family Office HQ Trust und zählt zu den bekanntesten Volkswirten im deutschsprachigen Raum. Vor seinem Start bei HQ Trust war er Leiter des Group Centers Economic Research der Allianz SE sowie Generalsekretär des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung.

Am 5. November wählen die USA einen neuen Präsidenten. Haben Sie einen Tipp für den Ausgang?

Ich würde mir Harris wünschen, sehe aber immer noch eine leicht höhere Wahrscheinlichkeit für einen Sieg von Trump. Die Nominierung von Kamala Harris und die ersten Wahlkampfwochen haben zwar für Euphorie gesorgt. Als Europäer sollte man das konservative Amerika jedoch nicht unterschätzen – Kamala Harris wäre die erste Präsidentin der Vereinigten Staaten, noch dazu eine Demokratin mit sozialem Touch. Auch ihre Steuer- und Wirtschaftspolitik bietet im Wahlkampf Angriffspunkte: Platte Aussagen wie „Harris macht die US-Autoindustrie kaputt“ können da durchaus verfangen.

Sind solche Ängste angesichts der ökonomischen Lage in den USA berechtigt?

Nein. Die US-Wirtschaft hat sich nach der Covid-Krise besser erholt als fast alle anderen in der Welt: Hohe Beschäftigungszuwächse, steigende Produktivität und Investitionen hielten trotz der deutlichen Zinsanstiege seit dem Frühjahr 2022 die Wirtschaft auf Kurs. Dazu hat die Wirtschaftspolitik von Präsident Biden wesentlich beigetragen – mit den Corona-Hilfen in der Pandemie, Infrastrukturprogrammen und massiven Subventionen für den Aufbau der Halbleiterproduktion sowie mit dem Inflation Reduction Act (IRA), der energie- und emissionssparende Technologien fördert. Die beherzte Senkung der Leitzinsen um 0,5 % im September bedeutet für Unternehmen und Private zudem eine willkommene Entlastung bei den Zinskosten für Kredite mit kürzerer Laufzeit. Deutsche wären begeistert von einer solchen Bilanz. Aber in den Augen vieler Amerikaner ist der Regierung vor allem die hohe Inflation zur Last zu legen, obwohl sie im Wesentlichen ein internationales Phänomen war.

Welche Auswirkungen der Wahl auf die Wirtschaft und die Finanzmärkte erwarten Sie?

Der Ausgang der Wahl ist nur einer von vielen Faktoren, die die Entwicklung der Börsen beeinflussen. Aktuell spielt vor allem die Einschätzung der Wachstums- und Ertragspotenziale der künstlichen Intelligenz eine herausgehobene Rolle. Darüber hinaus ist es wichtig, ob die Politik in Europa und vor allem in Deutschland endlich etwas gegen die chronische Wachstumsschwäche unternimmt. Das wäre bei einer abkühlenden US-Konjunktur und der Unsicherheit über die Wahl umso wichtiger. Deren Ausgang wird Konjunktureffekte haben, aber es sind vor allem die langfristigen Auswirkungen, die ich für sehr bedeutsam halte.

Warum? Welche Reaktion erwarten Sie bei einem Sieg von Kamala Harris?

Kamala Harris steht für „more of the same“. Es ist keine wesentliche Änderung zur Biden-Politik zu erwarten. Sie ist ebenso wie der scheidende Präsident eine Verfechterin einer regelgebundenen Weltordnung und steht nicht für eine Isolierung Amerikas. Etwas stärker noch als Biden dürfte Harris Frauenrechte und Kinder fördern, und sie dürfte etwas progressiver beim Klimaschutz sein als der aktuelle Präsident. Angekündigt sind Entlastungen für die unteren Einkommen und die Mitte bis 400.000 Dollar Einkommen sowie Steuererhöhungen für Unternehmen und Besserverdienende. Die Industriepolitik dürfte weiter auf eine Stärkung der US-Wirtschaft und eine Abkopplung von China ausgerichtet sein. Geordnete Immigration wird grundsätzlich positiv eingeschätzt. Das sollte für einen weiteren Zuwachs von Arbeitskräften sorgen, der inflationäre Lohnerhöhungen erschwert.

Müssen die Märkte vor dem Programm von Harris Angst haben, die ja von Trump als „Kommunistin“ bezeichnet wird?

(Lacht) Als Ökonom kann man da wahrlich keinen Kommunismus erkennen. Das Programm zielt zu Recht darauf ab, die eklatanten Ungleichgewichte zwischen Arm und Reich in den USA zu verringern. Mit einem etwas höheren Steuerniveau werden amerikanische Unternehmen wohl zurechtkommen und dank der üppigen Förderprogramme immer noch lukrativ investieren. By the way: Unter demokratischen Präsidenten hat die Börse in den vergangenen 100 Jahren im Schnitt besser abgeschnitten als unter republikanischen. Diese Faustregel könnte sich unter Harris fortsetzen. Denn Trump würde die Wirtschaft nicht nachhaltig voranbringen.

Welche Konsequenzen hätte ein Sieg von Donald Trump für die US-Wirtschaft und die US-Börse?

Kurzfristig würde ich an den Märkten ein Strohfeuer erwarten. Trump will die Steuersenkungen aus seiner ersten Amtszeit über das Jahr 2025 hinaus verlängern. Statt wie Harris die Körperschaftsteuer von 21 auf 28 % zu erhöhen, könnte er sie sogar weiter senken, vor allem für Unternehmen, die in den USA produzieren. Auch Regulierungen würden tendenziell abgebaut. Trumps steuerliche Impulse dürften die Konjunktur erst einmal stärker stimulieren. Dieser Impuls dürfte den Aktienmärkten kurzfristig einen Schub geben. Mittelfristig könnten Trumps Pläne aber sehr unangenehme Folgen haben.

Warum?

Trump setzt auf Maßnahmen, die sich negativ auf die heimische Wirtschaft und Inflationsentwicklung auswirken. Er will einen generellen Einfuhrzoll von 10 % und einen Extra-Einfuhrzoll von 60 % auf chinesische Waren einführen. Das würde Produkte für die Konsumenten in den USA, aber auch für Produzenten verteuern. Eine harte Migrationspolitik könnte zu Engpässen auf dem US-Arbeitsmarkt und starken Lohnsteigerungen führen. Beides erhöht tendenziell die Inflation.

Und international?

Auch da hätte ein Trump-Sieg langfristig negative Effekte, wenn die Ankündigungen so umgesetzt werden und seine Wirtschafts- und Handelspolitik auf Konfrontation gerichtet ist und vor Wirtschaftskriegen nicht zurückscheut, vor allem mit China. Aber Zölle und Handelsbarrieren sind nur vermeintliche Heilmittel, sie haben langfristig sehr negative Nebenwirkungen. Gegenmaßnahmen der betroffenen Länder würden die Globalisierung zurückdrängen, die internationale Arbeitsteilung und den freien Handel einschränken. Das wäre für das weltweite Wachstum abträglich. Eine kurzfristige Belebung unter Trump müssten die USA und andere Länder langfristig mit Wohlfahrtsverlusten bezahlen.

Lassen sich die Programme von Harris und Trump eigentlich finanzieren?

Trump und Biden haben die Staatsschulden seit 2016 massiv erhöht. Trotz stärkerer Konjunktur liegt das Budgetdefizit der USA in Relation zur Wirtschaftsleistung um ein Mehrfaches höher als in Deutschland. Im Jahre 2023 belief sich das gesamtstaatliche Defizit auf 8,8 % des BIP. Die gesamtstaatliche Bruttoschuldenquote lag nach Angaben des IWF 2023 bei 122 % des BIP, in Deutschland nur bei 64 %. Die Nettozinsbelastung allein im Bundeshaushalt beträgt im Fiskaljahr 2024 voraussichtlich 870 Milliarden US-Dollar. Es kann wohl keinen Zweifel geben, dass die permanent expansive Finanzpolitik der USA an ihre Grenzen stößt und nun eine Konsolidierung nötig macht. Egal wer gewinnt: Die neue Regierung wird sparsamer haushalten müssen. Kapitalmärkte und Ratingagenturen werden sonst negativ reagieren und steigende Risikoprämien für die USA herbeiführen.

Welche Branchen und Unternehmen dürften von Trump, welche von Harris am stärksten profitieren?

Das scheint nur auf den ersten Blick einfach zu beantworten. Pharma- und Biotechunternehmen etwa werden regelmäßig für zu hohe Preise kritisiert. Mit Trump wären wohl Kompromisse und „Deals“ möglich, bei Kamala Harris wären härtere Vorschriften wie Preisstopps zu befürchten. Aber andererseits würde Harris mehr öffentliches Geld in die Gesundheitsversorgung pumpen. Naheliegend wäre bei Trump auch ein Fokus auf fossile Energie und bei Harris auf erneuerbare. In der Vergangenheit war die Börsenentwicklung aber genau andersherum: Von 2016 bis 2020 lief es unter Trump gut für Aktien aus dem Sektor der erneuerbaren, danach unter Biden für die fossilen Energien. Das Gleiche gilt für das Militär: minus bei Trump, plus bei Biden. Das zeigt in aller Deutlichkeit: Die internationalen Entwicklungen durch das Corona-Virus und den Krieg in der Ukraine waren entscheidender als die Präferenzen der Politiker.

Was heißt das jetzt für Anleger und ihre Strategie im November?

Anleger sollten sich nicht zu sehr am unsicheren Wahlausgang orientieren. Die Entwicklungschancen und die Marktdurchdringung von KI, makroökonomische Wachstumstrends und eine möglichst stabile Weltwirtschaftsordnung sind langfristig entscheidender für den Anlageerfolg. KI wird unser Leben verändern. Das heißt aber nicht, dass diese Unternehmen ihre Höchstkurse halten werden. Zyklische Werte und der Mittelstand könnten bei den nun günstigeren Zinsbedingungen aufholen. Für 2025 hängt viel davon ab, ob in den USA die sanfte Landung der Wirtschaft gelingt. Das hat ganz wesentlich auch die US-Notenbank in der Hand. Bei sinkenden Zinsen stehen die Chancen dafür gut – ganz unabhängig davon, ob Kamala Harris oder Donald Trump am 5. November gewinnt.

Bei diesem Interview handelt es sich um einen redaktionellen Beitrag, der nicht die Meinung der comdirect – einer Marke der Commerzbank AG – wiedergibt. Die Auswahl der Wertpapiere und sonstigen Finanzinstrumente stellt kein Angebot, keine Aufforderung oder Empfehlung zum Kauf oder Verkauf von Finanzinstrumenten dar. Aktien unterliegen Kursschwankungen; damit sind Kursverluste möglich. Bei Wertpapieren, die nicht in Euro notieren, sind zudem Währungsverluste möglich. Die frühere Wertentwicklung ist kein verlässlicher Indikator für die zukünftige Wertentwicklung. Stand: 10.05.2023. Quelle: comdirect.de

Heinz-Peter Arndt, Diplomvolkswirt und Diplomjournalist, schreibt seit über 30 Jahren über Konjunktur, Finanzmärkte und private Geldanlage
Heinz-Peter Arndt, Diplomvolkswirt und Diplomjournalist, schreibt seit über 30 Jahren über Konjunktur, Finanzmärkte und private Geldanlage
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Heinz-Peter Arndt
Der Diplomvolkswirt und Diplomjournalist schreibt seit mehr als 30 Jahren über Konjunktur, Finanzmärkte und private Geldanlage.
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