- „Die aktuelle Krise ist komplett selbst gemacht, und zwar ohne Not.“
- „Seit Jahresbeginn haben viele Anlegerinnen und Anleger Europa wiederentdeckt.“
- „Der Konflikt USA vs. China wird sehr wahrscheinlich weiterhin anhalten.“


Nach dem guten Jahresstart brachen die Kurse ein. Lag das nur an den erratischen Maßnahmen von Donald Trump oder waren dafür auch die hohen Bewertungen verantwortlich?
Da spielte beides definitiv mit rein. Die Kurse brachen ja besonders stark in den USA ein, wo schon im vergangenen Jahr die Bewertungen besonders hoch waren. Das hat die Korrektur in den USA verschärft, aber auch kurzfristig in Europa und weltweit zu Rückgängen geführt. Allerdings sollte man ohnehin realistisch bleiben. Nach zwei super Börsenjahren 2023 und 2024 war und ist die Wahrscheinlichkeit für ein 3. Top-Jahr in Folge eher gering. Bei anhaltenden Eskapaden des US-Präsidenten ist es zudem nicht auszuschließen, dass sich die Auswirkungen in den nächsten Monaten auch negativ auf die Unternehmenszahlen niederschlagen. Dann könnte die Korrektur vom Februar/März nur ein Anfang gewesen sein.
Mit dem Mai beginnt das statistisch schwächere Börsenhalbjahr. Wie reagieren Sie bei der Shareholder Value Management AG darauf?
Saisonalität wird unwichtiger. In den beiden vergangenen Jahren hätte man viel Performance verpasst, wenn man sich aus dem Markt zurückgezogen hätte. Daher haben wir im Mai keine Neupositionierungen vorgenommen. Der Frankfurter Aktienfonds für Stiftungen, unser Flaggschifffonds, hat durchschnittlich 80 % Aktien und 20 % Cash. Anfang des Jahres waren wir vorsichtig und nur mit 71 % Aktien unterwegs. Zuletzt haben wir aufgestockt und neue Titel mit eher defensiverem Charakter aufgenommen, etwa aus der Versicherungsbranche.
In den USA erwartet ein Drittel der Anlageprofis eine Rezession, für Deutschland das 3. Nullwachstum in Folge. Was gibt Ihnen da mittelfristig Hoffnung für den Gesamtmarkt?
Die Zollwirren und ihre Begleiterscheinungen werden sich voraussichtlich doch deutlich abschwächen. Abgesehen davon sehen wir in Deutschland und Europa einiges, was positiv stimmen kann. Die europaweiten Investitionsprogramme in das Militär und in Deutschland auch in Infrastruktur sorgen für einen Schub. Zudem schwammen Europas Börsen lange nur im Fahrwasser der USA. Seit Jahresbeginn aber haben viele Anlegerinnen und Anleger Europa wiederentdeckt, selbst amerikanische Investorinnen und Investoren. Da fließt einiges an Kapital zu. Und selbst wenn es konjunkturell in Europa nicht so gut laufen sollte, gibt es dennoch so viele herausragende Unternehmen mit stabilen Geschäftsmodellen. Als Value-Investoren sehen wir weiterhin attraktive Bewertungsniveaus in Europa.
Glauben Sie denn, dass Trump bei den Zöllen notgedrungen vernünftig wird?
Wir haben ja gerade erst gut 100 Tage Trump gesehen. Jemand schrieb so schön: Es fühlt sich an wie 1.000 Tage. Ich glaube, die Vehemenz der Reaktionen und der Rückschläge haben ihn schon ein wenig einlenken lassen. Möglicherweise hält das Zollmoratorium länger als gedacht. Selbst Trump sollte verstehen, dass diese Politik vielleicht die USA als Industriestandort ganz langfristig stärken könnte. Aber der Weg dahin wird für alle Beteiligten so steinig sein und so lange dauern, dass er dann nicht mehr im Amt sein wird. Das ganze Thema Zölle wird nicht aus heiterem Himmel verschwinden. Aber ich erwarte, dass er im eigenen Interesse mit den meisten Ländern Deals aushandeln wird, die keinem allzu wehtun.
Wie wird sich die Inflation entwickeln und welche Politik erwarten Sie von der amerikanischen Notenbank?
Die US-Fed ist fast schon die letzte große Instanz der USA, die nicht vor Trump kuscht. Ihr Chef Jerome Powell hat bereits deutlich gemacht, dass er nicht zum Spielball der Politik werden will. Die Entwicklung der Leitzinsen hängt von zwei Faktoren ab. Zum einen die Inflation: Sie dürfte anziehen, weil sich die Zölle preissteigernd auswirken und durch die harte Migrationspolitik Arbeitskräfte fehlen und daher die Löhne steigen. Auf der anderen Seite schwächt sich aber das Wachstum bereits deutlich ab. Die US-Fed ist den Zielen Geldwertstabilität und Vollbeschäftigung verpflichtet und wird in den nächsten Monaten Vorsicht walten lassen.
Aber die Zeit der amerikanischen Ausnahme mit überdurchschnittlichem Wachstum und Vollbeschäftigung dürfte erst mal vorbei sein, oder?
Ja. Und das ist so schwer nachzuvollziehen. Oft genug ergeben sich ja schwierige Börsenphasen aus Faktoren, auf die man nicht wirklich einwirken kann – etwa die Covid-Krise. Da stehen die Regierungen und Unternehmenslenker dann und müssen ad hoc schauen, wie sie die Schäden begrenzen können. Aber: Die aktuelle Krise ist komplett selbst gemacht, und zwar ohne Not. Da werden grundlegende Dinge verschoben, die sich über Jahrzehnte aufgebaut haben: etablierte Handelsgefüge, Freihandelsabkommen, politische Bündnisse. Alles wird zurückgedreht, um die USA vermeintlich nach vorne zu bringen – wo sie bis zu Trumps Amtsantritt aber ohnehin standen.
Werden deshalb Europas Börsen in diesem Jahr besser abschneiden als die US-Börsen?
Ja, der Vorsprung seit Jahresbeginn ist ja auch schon recht groß. Der enorme Boom der US-Technologiemärkte und ihrer Machtkonzentration der vergangenen 10 Jahre ist gestoppt. Im Vergleich zum MSCI sind wir bei amerikanischen Aktien grundsätzlich untergewichtet. Zuletzt haben wir die US-Positionen weiter zurückgenommen. Schon im 4. Quartal hatte unser Frankfurter Fonds für Stiftungen nur 24 % US-Anteil, inzwischen sind es sogar weniger als 20 %.
Verspricht der Fokus auf europäische Value-Aktien auch auf Sicht der gesamten Trump-Regierungszeit die bessere Rendite?
Ob das am meisten Rendite verspricht, kann man heute noch nicht wissen. In jedem Fall aber dürfte es für besseren Schlaf bei den Anlegerinnen und Anlegern sorgen. Man kann jetzt Aktien mit akzeptablen Bewertungen und überdurchschnittlichen Dividendenrenditen eher höher gewichten als volatile Technologieaktien. Sollten sich die großen Wolken verziehen, sind die USA mit ihrer Marktkapitalisierung aber immer noch der dominierende Markt. Und es ist ja auch nicht so, dass alle Geschäftsmodelle in sich zusammenbrechen. Microsoft etwa wird auch Trump überleben und wir halten an der Aktie fest. Bei Tesla bin ich da skeptischer – aber das ist eine Aktie, die ohnehin nicht unsere Investment-Kriterien erfüllt.
Wo sehen Sie aktuell die besten Renditechancen?
Wir orientieren uns an Bewertungskriterien und fokussieren uns auf Aktien in den westlichen Industriestaaten. Da sehen wir aktuell in Europa und ganz speziell bei den Small und Mid Caps die größten Chancen. Deshalb haben wir auch Positionen aufgebaut bei Aktien von kleineren Unternehmen, die nicht von den Zöllen betroffen sind. Ein Beispiel ist Scout24 mit ihrer Plattform Immobilienscout 24. Sie ist mit ihrem Geschäftsmodell auf Deutschland fokussiert und von Zöllen gar nicht getroffen, sondern allenfalls von Schwächen am Immobilienmarkt. Aber der erholt sich gerade von seinem Tief.
Gute Renditechancen boten zuletzt auch Rüstungsunternehmen. Springen Sie wie andere Fondsgesellschaften auf den Zug auf?
Nein. Ich finde es sehr schwierig, dass immer mehr Anbieter ihre Portfolios für Rüstungsaktien öffnen. Wir halten an unseren hart definierten Ausschlusskriterien fest, die sich an denen der evangelischen Kirche orientieren. Das heißt: keine Atomwirtschaft, keine Rüstungsschmieden. Für mich ist ein Panzer ein Panzer und bleibt ein Panzer. Der mag vielleicht am Ende helfen, um Frieden zu schaffen. Aber erst mal zerstört er alles, was sich ihm in den Weg stellt.
Bei diesem Interview handelt es sich um einen redaktionellen Beitrag, der nicht die Meinung der comdirect – einer Marke der Commerzbank AG – wiedergibt. Die Auswahl der Wertpapiere und sonstigen Finanzinstrumente stellt kein Angebot, keine Aufforderung oder Empfehlung zum Kauf oder Verkauf von Finanzinstrumenten dar. Aktien unterliegen Kursschwankungen; damit sind Kursverluste möglich. Bei Wertpapieren, die nicht in Euro notieren, sind zudem Währungsverluste möglich. Die frühere Wertentwicklung ist kein verlässlicher Indikator für die zukünftige Wertentwicklung. Stand: 13.05.2025; Quelle: comdirect.de