- Unternehmensgewinne und Zinssenkungen sprechen für steigende Kurse.
- Gold und Goldminenaktien haben weiterhin Aufwärtspotenzial.
- Die Emerging Markets gewinnen wieder an Bedeutung.


Herr Schilling, seit Januar regiert ein US-Präsident mit Zolldrohungen, und die bewaffneten Konflikte in der Welt halten an. Das Wirtschaftswachstum in der Welt bleibt unter seinem Potenzial und dennoch stürmen die Börsen nach oben. Ist das noch normal?
Die Bedingungen mögen schwierig sein und dennoch lautet die Antwort „Ja“. Denn ungeachtet der politischen Krisen ist der Motor der Börsen langfristig immer die Entwicklung der Unternehmensgewinne. Und dieser Motor läuft und läuft. Im S&P 500 legten die Unternehmensgewinne zuletzt im Schnitt um 10 % zu. Die Unternehmen, die vom KI-Boom profitieren, steigerten ihre Erlöse sogar noch deutlich stärker. Zudem spricht der Zinstrend für Aktien. Die erste Leitzinssenkung im September wird nicht die letzte bleiben. Die Inflation liegt stabil zwischen 2 % und 3 %. Schließlich ist die Geldmenge in den USA zuletzt deutlich angestiegen. Es gibt also viel Kapital, das angelegt werden will und muss.
Gibt es also eine begründete Hoffnung auf eine Jahresendrally?
Ja, die Ampel für eine Jahresendrally steht auf Grün. Denn die Marktbreite ist in den vergangenen Monaten deutlich größer geworden. Es sind nicht mehr allein die Magnificent 7, die die Indizes nach oben treiben. Pharma und Healthcare sind immer noch günstig bewertet. Die Mid und Small Caps dürften von weiteren Zinssenkungen angetrieben werden. Konsumwerte und zyklische Werte springen an, weil sich die Konjunkturaussichten verbessern. Gleichzeitig sind wir weit entfernt von einem Überschwang. Es gibt zwischendurch kleine Schlaglöcher und Rückschläge, wenn Präsident Trump mal wieder eine neue Idee ausgebrütet hat. Aber es gibt einen Trump-Gewöhnungseffekt: Die Börse verhält sich im Moment wie ein kluger Autofahrer – wenn ihn das Navi viermal vor einem Stau gewarnt hat und es gibt gar keinen, fährt er einfach weiter geradeaus.
Wie weit werden die US-Zinsen sinken?
Das hängt von der Zukunft der Fed ab und wie stark Donald Trump mit einem neuen Chef auf sie einwirkt. Vorerst rechne ich nicht mit großen Schritten, da Jerome Powell datenabhängig entscheidet. Er befindet sich aktuell im Zwiespalt zwischen einer knapp über dem Zielwert liegenden Inflationsrate und einer langsam, aber deutlich ansteigenden Arbeitslosenquote. Dem ersten Zinsschritt vom September könnte noch ein weiterer im Dezember folgen. Ein neuer Fed-Chef von Trumps Gnaden kommt 2026. Wie stark es dann – politisch induziert – mit den Zinsen bergab geht, kann man noch nicht prognostizieren.
Könnte es zu einer Staatsschuldenkrise in den USA kommen, wenn die Leitzinsen unangemessen stark herabgesetzt werden?
Daran glaube ich zumindest kurz- und mittelfristig nicht. Die US-Zentralbank hat ein großes Arsenal, um auch die langfristigen Marktzinsen zu drücken. Gegebenenfalls wird sie wie in den 2010er-Jahren massiv amerikanische Staatsanleihen aufkaufen, um die Zinsen in einem erträglichen Rahmen zu halten.
Bleibt KI der Treiber für die Aktienmärkte?
KI ist ein wesentlicher Megatrend für die Wirtschaft und die Märkte, ähnlich wie der Durchbruch des Computers oder des Internets. Es ist eine branchenübergreifende Disruption einer neuen Technologie, die sich auf alle und alles auswirkt. Natürlich werden dabei viele Unternehmen auch scheitern, ähnlich wie in der Frühphase des 20. Jahrhunderts zahlreiche Automobilbauer. Aber das gilt vor allem für die unzähligen Start-ups der Branche. Die Chiphersteller und Betreiber von Rechenzentren dagegen profitieren wie beim Goldrausch als Erste – nicht nur Nvidia, sondern auch Micron oder Oracle. Als zweite Gewinner sehe ich die Besitzer von großen Datenmengen – also die Amazons, Googles und Microsofts dieser Welt. Im Bereich der humanoiden Robotik streiten sich im Moment über 100 Unternehmen um die beste Lösung. Wer sich durchsetzen wird, weiß ich nicht. Aber fast alle setzen auf Amphenol als Zulieferer.
In der ersten Jahreshälfte blieben die US-Märkte hinter Europa zurück. Inzwischen haben sie aufgeholt, zumindest in Landeswährung. Setzt sich der Trend fort?
Die größten Unternehmer und Trendsetter der Technologiebranche befinden sich in den USA. Allerdings schwächt sich dort aktuell das Wachstum ab, während es in Deutschland und Europa von niedriger Basis aus anzieht. Insofern spricht vieles dafür, in beiden Regionen gleichermaßen vertreten zu sein. Noch größere Chancen als in den Traditionsmärkten sehe ich aktuell in einigen Schwellenländern. In den Emerging Markets sind die Kurse in den vergangenen 15 Jahren weit hinter den Industrieländern zurückgeblieben, obwohl ihr Anteil am Weltbruttoinlandsprodukt stetig zunimmt. Inzwischen organisieren sich die Schwellenländer in eigenen Strukturen, die Verschuldung der Staaten ist vergleichsweise niedrig und sie profitieren von anziehenden Rohstoffpreisen.
Aber sind die politischen Risiken und auch die Rechtsrisiken dabei zu vernachlässigen?
Natürlich gibt es unter den Emerging Markets nicht sehr viele lupenreine Demokratien mit einwandfreien Rechtssystemen. Deshalb schien der Bewertungsabschlag für Aktien aus diesen Ländern im Vergleich zu den westlichen Industrienationen auch immer gerechtfertigt. Aber aktuell muss man ja konstatieren, dass die „demokratische Lücke“ zwischen Schwellenländern und den USA deutlich kleiner geworden ist – etwa wenn Donald Trump einen fast fertiggestellten Windpark vor der US-Küste nicht in Betrieb gehen lässt, weil ihm Windenergie an sich zuwider ist.
Rohstoffe – werden Sie zu den neuen Treibern?
Für die Elektrifizierung der Welt werden Unmengen von Rohstoffen gebraucht, allen voran Kupfer. Kupfer ist sozusagen das neue Öl der globalen Wirtschaft. Gleichzeitig fällt der Kupfergehalt in den Minen dramatisch, was die Förderkosten erhöht. Die Preise für das Metall können also logischerweise mittel- und langfristig eigentlich nur steigen. Rohstoffunternehmen sind weiterhin günstig bewertet und haben einen enormen Cashflow. Welche Unternehmen aber wie gut aufgestellt sind, ist für Laien schwierig zu entscheiden. Investitionen in Einzelwerte können da schnell schiefgehen. Hier lohnt sich der Griff zu aktiv gemanagten Aktienfonds oder marktbreiten ETF-Indexfonds.
Gold und Silber sind ebenfalls Rohstoffe, aber auch Wertaufbewahrungsinstrumente. Setzt sich ihre Rally fort?
Da gehe ich sehr von aus. Warum sollte der Goldpreis in naher Zukunft nicht auf 5000 Dollar pro Unze steigen? Goldzyklen setzen sich oft über mehrere Jahre fort und der aktuelle Zyklus hat erst Anfang 2024 begonnen. Neben der starken Nachfrage der Zentralbanken sorgen jetzt auch die sinkenden Zinsen für zusätzlichen Schwung beim Gold. Trotz des jüngsten Kursanstiegs sind auch Goldminenaktien immer noch günstig bewertet. Wie bei den Rohstoffen sollten Anleger aber auch hier auf die Expertise von Profis setzen.
Was könnte den positiven Trend an den Märkten stoppen. Ein Anleihecrash? Israel? Krieg mit Putin?
Große Crashs werden durch einen starken Trigger oder einen „Schwarzen Schwan“ wie die Covid-Pandemie ausgelöst. Die Staatsschuldenproblematik in den USA sehe ich da eher weniger als Auslöser. Denn das Schuldenproblem könnte die US-Zentralbank durch den Aufkauf der eigenen Staatsanleihen beherrschbar halten. Schlimmer wäre eine Ausweitung der Kriege […] vor allem in Europa. Wenn es zu einem russischen Angriff auf NATO-Staaten kommt, ist die Hausse vorbei. Ansonsten gilt: The trend is your friend. Aktien dürften bis zum Jahresende und darüber hinaus weiterhin neue Rekorde aufstellen.
Bei diesem Interview handelt es sich um einen redaktionellen Beitrag, der nicht die Meinung von comdirect – einer Marke der Commerzbank AG – wiedergibt. Die Auswahl der Wertpapiere und sonstigen Finanzinstrumente stellt kein Angebot, keine Aufforderung oder Empfehlung zum Kauf oder Verkauf von Finanzinstrumenten dar. Aktien unterliegen Kursschwankungen; damit sind Kursverluste möglich. Bei Wertpapieren, die nicht in Euro notieren, sind zudem Währungsverluste möglich. Die frühere Wertentwicklung ist kein verlässlicher Indikator für die zukünftige Wertentwicklung. Stand: 11.10.2025; Quelle: comdirect.de

