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Interview: „Kurzfristig gibt es Rückschlagrisiken“

Winfried Walter

Winfried Walter

ist Vorstand der Kölner Vermögensverwaltung Schneider, Walter & Kollegen. Der gelernte Broker und Portfolio‐Manager betreut seit über zwei Jahrzehnten Vermögen von privaten und institutionellen Kunden, insbesondere Stiftungen.

Vermögensverwalter Winfried Walter über den langen Aufwärtstrend an den Börsen und aktuelle Rückschlaggefahren.

comdirect: Herr Walter, die Wall Street feiert einen Rekord nach dem anderen. Auch der DAX hat neue Hochs erzielt. Ist es zu spät für einen Einstieg?

Winfried Walter: Für einen Einstieg mit viel frischem Geld scheint mir aktuell nicht der richtige Zeitpunkt. Einen großen Teil der Kursrally haben wir wohl bereits gesehen. Denn was sind die Treiber an der Wall Street? Es ist keinesfalls ein rasantes Wirtschaftswachstum, sondern satte Liquidität und Gewinnsteigerungen durch Aktienrückkäufe. Auf die Notenbanken kann man sich wohl weiter verlassen, auf mittlere Sicht werden die Zinsen weltweit wohl kaum steigen. Bei den Unternehmensgewinnen bin ich da nicht so sicher. Sie wurden in den USA von den FAANG-Aktien, also von Facebook, Amazon, Apple, Netflix und Google, getrieben und vor allem durch Aktienrückkäufe.

comdirect: Wie wirken sich die Aktienrückkäufe aus?

Winfried Walter: Viele US-Unternehmen steigern ihre Gewinne pro Aktie kaum in absoluten Werten, sondern durch die Verringerung der Zahl der ausstehenden Aktien. Wenn ich pro Jahr 5 % der Aktien aufkaufe und einziehe, erhöht sich der Gewinn pro übrig gebliebene Aktie um 5 %. Allein dafür werden die US-Unternehmen 2020 voraussichtlich rund 700 Milliarden US-Dollar aufwenden und damit die Gewinne pushen. Das kann aber nicht ewig so weitergehen. Treiber dahinter waren „das billige Geld“ und in den letzten 2 Jahren die große Steuerreform.

comdirect: Ist der Brexit an den Börsen durch? Oder droht eine Fortsetzung des Theaters bis zum Ende des Jahres 2020?

Winfried Walter: Selbst die heißesten Zeiten des Brexit-Theaters haben die Börsen kaum tangiert. Schwer vorstellbar, dass es jetzt anders sein sollte, wo die Weichen klar gestellt sind. Allerdings ist uns über die Jahre bewusst geworden, welch wichtiger Handelspartner Großbritannien für Deutschland ist. Das kann schon ein Viertelprozent Wachstum kosten. Und das ist bei den aktuellen Minizuwächsen eine ganze Menge.

comdirect: Der Corona-Virus hat China im Griff. Wie stark wird er sich auf die Weltwirtschaft und die Börsen auswirken?

Winfried Walter: Das hängt von der weiteren Entwicklung der Epidemie in den großen neu entstandenen Städten im Süden ab. Dort wird das chinesische Wachstum erwirtschaftet. Bei einer Normalisierung, wie sie sich zuletzt andeutete, bleibt die Wirkung auf die Wirtschaft auf das erste Quartal 2020 beschränkt. Es mag makaber wirken: Aber 1.000 Todesopfer sind bei einem 1,4-Milliarden-Volk weniger gravierend als die Folgen einer banalen Wintergrippe in Deutschland. Eine Grafik zu den Korrelationen zwischen größeren Epidemien und dem MSCI World zeigt geringe Überschneidungen. Die Rückschlaggefahr ist weniger ausgeprägt als bei politischen Börsen. Zudem haben die Chinesen schon mit mehr Liquidität gegengesteuert.

comdirect: Wird Donald Trump in den USA wiedergewählt?

Winfried Walter: Ich hoffe nicht. Für die USA wäre das keine gute weitere Entwicklung. Die Notwendigkeit wirklich großer Reformen in Wirtschaft und Gesellschaft ist, wie übrigens in allen großen Industrienationen, seit spätestens der Jahrtausendwende evident. Wir müssen unsere Gesellschaften zukunftsfähig machen. Egal ob Trump oder ein demokratischer Kandidat: Es wird einen Rückschlag geben. Der neue Präsident steht vor einer sehr großen Reformaufgabe, bei dem er die gesamte Gesellschaft mitnehmen muss. Zudem ist es selbst für Trump auf Dauer unmöglich, die US-Wirtschaft mit kurzfristigen Impulsen anzutreiben.

comdirect: Welche Märkte und Branchen sind für Sie aktuell besonders interessant?

Winfried Walter: Mit Branchen tue ich mich eher schwer, da immer die Bewertung des einzelnen Unternehmens im Vordergrund stehen sollte. Aber die Situation der Versorger sticht heraus. Sie haben es insbesondere in Deutschland seit vielen Jahren sehr schwer. Der Schwung ging an ihnen vorbei. Aber zuletzt hat der Trend gedreht. Die Bewertungen der Versorger sind interessant und sie haben die Wende zu erneuerbaren Energien eingeleitet. Aus meiner Sicht gibt es erhebliches Aufholpotenzial.

comdirect: Wäre ein Comeback der Versorger auch ein Beleg für den Trend von Growth zu Value?

Stefan Bratzel: In der Tat ist jetzt die Umkehr fällig. In den vergangenen zehn Jahren hat Growth im Vergleich zu Value outperformt. Bei einer Börsenschwäche werden Value-Titel mit Sicherheit relativ besser abschneiden, weil sie eben zuvor nur weit unterdurchschnittlich zugelegt haben. Aber auch bei einem positiven Börsentrend sehe ich Aufholpotenzial. Denn Value ist zwar ein bisschen alte Industrie, aber auch die ändert sich. Eisenbahn und Straßenbahn, Infrastruktur und Logistik, Chemie und Maschinenbau sind weiterhin nötig. Eine Aktie wie Jungheinrich etwa hat zuletzt schlecht abgeschnitten. Aber die ganzen Amazons dieser Welt kommen ohne Hochregallager von Jungheinrich nicht aus. Das wird auch die Börse irgendwann wiederentdecken.

comdirect: Also würden Sie aktuell auch eher in Daimler als in Tesla investieren?

Winfried Walter: Meine Antwort lautet: Hyundai. Ich glaube, dass die Automobilindustrie noch eine Zukunft hat, wenn sie sich auf die Wachstumsregionen konzentriert – China, Brasilien und vielleicht Russland. Hier hat sich der Hyundai-Konzern in den vergangenen Jahren hervorragend aufgestellt. Zudem hat sich Hyundai ganz konsequent auf die Elektromobilität ausgerichtet. Wie wichtig das ist, sieht man etwa in Hongkong, Schanghai und Peking. Dort ist in den vergangenen Jahren kein privater Stellplatz mehr ohne Lademöglichkeit für Elektroautos gebaut worden. Und „Otto Normalverbraucher“ bekommt für ein neues Autos mit konventionellem Antrieb in vielen chinesischen Städten so gut wie keine Zulassung mehr.

comdirect: Tesla ist für Sie dagegen überteuert? 

Winfried Walter: Tesla hat für mich überraschend den Weg in die schwarzen Zahlen geschafft. Die Firmenpolitik ist konsequent, das zeigt der Ansiedlungswunsch in Brandenburg. In Deutschland sind die Facharbeiter deutlich besser als in den USA. Tesla geht damit die bekannten Fertigungsprobleme an. In solchen Prozessen sind erfahrene Mitarbeiter gefragt, die die Bänder zum Laufen bringen und am Laufen halten. Dafür braucht man in Automobil, Chemie und Maschinenbau Ingenieure, aber eben auch gute Facharbeiter. Das macht den Standort Deutschland stark. Trotz allem halte ich die Tesla-Aktie auf dem aktuellen Niveau für deutlich überteuert.

comdirect: Wo sehen Sie für die Börsen 2020 die größten Risiken?

Winfried Walter: Das allergrößte Risiko wäre eine ruckartige Änderung der Geldpolitik. Denn am Tropf der Liquidität hängt alles. Aber man kann sich eigentlich nicht vorstellen, dass die Notenbanken diese Achillesferse durchtrennen. Zweite Möglichkeit: Trump gerät vor den Präsidentschaftswahlen ins Hintertreffen und will einen Befreiungsschlag landen – innenpolitisch oder auch außenpolitisch mit einem Einmarsch in irgendein „Land des Bösen“. Das Gefährlichste scheint mir aber aktuell, dass kein wirklich größtes Risiko in Sicht ist – und damit nicht schon eingepreist ist. Unerwartete Krisen haben meist den größten Negativeffekt an den Börsen.

comdirect: Sind Aktien also aktuell gar nicht „alternativlos“?

Winfried Walter: Alternativlosigkeit ist ein schlechter Ratgeber. Kurzfristig gibt es Rückschlagrisiken. Das müssen Anleger berücksichtigen. Wenn man mit dem Risiko zweistelliger Verluste leben kann, ist dagegen immer der richtige Zeitpunkt für Aktien. Und mit Fondssparplänen kann man ohnehin nicht viel falsch machen. Falls es runtergeht, bekommen Sie zwischenzeitlich mehr Anteile fürs gleiche Geld und profitieren unter Umständen auf längere Sicht. Denn mittel- und langfristig sind Aktien für mich vielleicht nicht „alternativlos“, aber ganz klar die beste Geldanlage.

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