Interview: Klimawandel ist kein Modethema!
Interview: Klimawandel ist kein Modethema!
Milos-Muller via Getty Images/iStockphoto

Interview: „Klimawandel ist kein Modethema!“

Nachhaltigkeitsexperte Rainer Unterstaller über Klima- und Wertewandel sowie Möglichkeiten, als Investor Einfluss zu nehmen.

comdirect: Ob Greta Thunberg oder Blogger Rezo: Die Jugend ist aktiv und setzt sich für das Klima ein. Panikmache bzw. Modewelle?

Klimawandel: Rainer Unterstaller

Rainer Unterstaller
Vorstand der ACATIS Fair Value Investment AG, diese ist der Nachhaltigkeitsberater für die ACATIS Fair Value Fonds des Frankfurter Vermögensverwalters ACATIS. Die ACATIS Fair Value Investment AG ist für die Auswahl der Titel nach nachhaltigen und ethischen Gesichtspunkten, nach den „ACATIS Fair Value“-Nachhaltigkeitskriterien, zuständig und stellt das Anlageuniversum für den global anlegenden Aktienfonds ACATIS Fair Value Aktien Global (WKN 964894) und den Mischfonds ACATIS Fair Value Modulor Vermögensverwaltungsfonds (WKN A0LHCM).[/authorbox]

Rainer Unterstaller: Auf keinen Fall – Klimawandel ist kein Modethema. Die Jugend hat ein anderes Bewusstsein. Junge Menschen sehen, was mit unserem Planeten passiert. Sie machen sich dafür stark, dass die Welt auch morgen noch lebenswert ist und nicht alle Ressourcen vernichtet werden. Hier in der Schweiz lernt meine Tochter schon im Kindergarten, was Klimawandel bedeutet. Sie kam nach Hause und erzählte uns, dass die Pinguine sterben, weil sich die Erde erwärmt …

comdirect: Der jüngste Bericht des Weltbiodiversitätsrates lässt die Alarmglocken schrillen. Millionen von Arten sind vom Aussterben bedroht. Reicht die Zeit überhaupt noch aus, um gegenzusteuern?

Rainer Unterstaller: Das ist die falsche Frage. Was wäre die Alternative? Wir müssen alles dafür tun, dass der Klimawandel gestoppt wird. Und junge Menschen werden heute Gott sei Dank sehr früh dafür sensibilisiert. Neben ökologischen Themen bekommen sie in der Schule heute auch ein Bewusstsein für soziale Themen. Mein Sohn hat in der 3. Klasse eines der 17 Nachhaltigkeitsziele der UN behandelt. Die bestehenden sozialen Ungleichgewichte haben ihn sehr beschäftigt. Die jungen Leute stellen Fragen, auf die wir Antworten finden müssen.

comdirect: Bleiben wir zunächst beim Klimawandel. Ist der Gesetzgeber gefragt? Oder jeder Einzelne von uns?

Rainer Unterstaller: Der Gesetzgeber muss die Rahmenbedingungen setzen – und da wurde in den vergangenen Jahren manches versäumt. Projekte zur Elektromobilität etwa wurden und werden nicht ausreichend unterstützt. Ohne Infrastruktur aber ist der Umstieg für die Bürger schwer. Auf der anderen Seite muss sich auch jeder an die eigene Nase fassen. Beispiel Strom: Niemand will Atomkraft oder Kohle. Wenn es aber darum geht, Stromtrassen für Windkraft zu bauen, bildet sich Widerstand. Alternative Energien: ja – aber bitte nicht vor der eigenen Haustür. Auch im Alltag kann jeder Einzelne sein Verhalten überprüfen. Muss man dreimal im Jahr in den Urlaub fliegen? Bei einem Flug nach Mallorca wird so viel CO2 freigesetzt wie beim Autofahren im ganzen Jahr. Auch beim Einkauf ist jeder Einzelne gefragt. Wer Produkte aus der Region kauft, tut schon etwas fürs Klima.

comdirect: Die EU hat einen Aktionsplan zur Finanzierung nachhaltigen Wachstums vorgelegt. Investoren sollen bei jeder Finanzberatung gefragt werden, ob sie nachhaltig investieren möchten. Ein Schritt in die richtige Richtung?

Rainer Unterstaller: Der Aktionsplan wird von den einen als Meilenstein gefeiert, von den anderen abgelehnt, da neuer Bürokratismus befürchtet wird. Ich meine, es ist der falsche Ansatz; Wir brauchen einen Perspektivwechsel. Warum muss ich unterschreiben, dass ich mich für nachhaltige Geldanlage interessiere? Wenn ich das Thema als Politiker ernst nehme und vorwärtsbringen möchte, muss es umgekehrt sein: Ich muss eine Unterschrift leisten, wenn ich in Waffen, Kinderarbeit oder Umweltsünder investieren will. Nachhaltigkeit wäre dann anders als heute nicht mehr die Ausnahme, sondern die Regel! Ich bin mal mutig und behaupte: Spätestens 2030 ist das State of the Art!

comdirect: Kann man über Geld überhaupt Einfluss nehmen?

Rainer Unterstaller: Auf jeden Fall! Geld regiert die Welt, im Guten wie im Schlechten. Über Investments kann man einen positiven Beitrag zu den Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen leisten. Unternehmen, die sich nicht in diese Richtung bewegen, werden über kurz oder lang Probleme mit der Finanzierung bekommen, keine Investoren finden.

comdirect: Das Parlament in Oslo hat beschlossen, dass der norwegische Staatsfonds sich von Kohleunternehmen verabschieden und künftig mehr in erneuerbare Energien investieren soll …

Rainer Unterstaller: … und als Investor, der 930 Milliarden Euro verwaltet, hat der norwegische Staatsfonds Gewicht. Bisher waren in dem Fonds Firmen ausgeschlossen, die mehr als 30 % ihrer Einnahmen mit Kohle erwirtschaften. Jetzt wird diese Grenze mit zwei neuen Kriterien ergänzt: Ausschluss für Unternehmen, die jährlich mehr als 20 Millionen Tonnen Kohle für Kohlekraftwerke produzieren oder über 10.000 Megawatt Kohlestromkapazität haben. Da werden dann wohl auch Energiekonzerne wie RWE und Uniper betroffen sein, aus denen sich der Fonds mit seinen Geldern zurückzieht. Insgesamt werden so rund vier Milliarden Euro aus der Kohlewirtschaft abgezogen. Eine Strategie, die Wirkung zeigen wird.

comdirect: Laut Studie von Allianz Global Investors (AGI) halten drei von vier Anlegern Nachhaltigkeit bei der Geldanlage für wichtig. Ist das nur ein Lippenbekenntnis, wenn man sieht, wie gering der Anteil nachhaltig investierten Geldes tatsächlich ist?

Rainer Unterstaller: Aktuell ist der Anteil nachhaltig investierten Geldes am Gesamtmarkt noch gering. Viele Investoren wollen sich nicht einschränken lassen. Wir erleben aber gerade einen Bewusstseinswandel. Bei den 30- bis 45-Jährigen ist der Nachhaltigkeitsgedanke bereits sehr fest verankert. Zudem spricht sich langsam rum, dass es kein Geld kostet, wenn ich nachhaltig investiere. Im Gegenteil: Studien belegen, dass sich nachhaltig wirtschaftende Unternehmen auf lange Sicht besser entwickeln.

comdirect: Das Angebot an nachhaltigen Produkten wächst rasant. Sind viele Mogelpackungen dabei?

Rainer Unterstaller: Die Frage ist, was man unter Nachhaltigkeit versteht – es gibt keine einheitliche Definition. Manche schließen einfach nur „Rüstung“ oder „Streubomben“ aus und nennen das „nachhaltig“. Bei anderen kommen dagegen nur Unternehmen ins Portfolio, die Positives im Sinne der UN-Nachhaltigkeitsziele bewirken. Jeder sucht sich dann das aus, was er sich wünscht. Wobei die Abgrenzung oft schwierig ist.

comdirect: Der Markt ist extrem unübersichtlich. Wie kann man die Spreu vom Weizen trennen?

Rainer Unterstaller: Informationen über Fonds bietet das Forum Nachhaltige Geldanlagen (FNG). In den Fondsporträts kann man nachlesen, in welche Assets und nach welchen Kriterien ein Fonds investiert. Eine Orientierung bietet auch das Siegel, das das FNG vergibt. Bei einem Fonds mit Siegel können Investoren sicher sein, dass die wichtigsten Kriterien eingehalten und konsequent umgesetzt werden.

comdirect: Welche Kriterien berücksichtigen Sie?

Rainer Unterstaller: Wir berücksichtigen Nachhaltigkeit bei der Geldanlage schon seit zehn Jahren. 2010 haben wir mit einer Umfrage bei Kunden und Interessenten unsere Kriterien und unseren Nachhaltigkeitsansatz erarbeitet. Das waren zunächst vor allem wie Ausschluss von Kinderarbeit, Rüstung oder Korruption. Seitdem haben wir die Kriterien eigentlich bisher jedes Jahr weiter angepasst – immer in Absprache mit unserem Nachhaltigkeitsbeirat. So kam z. B. nach der Klimakonferenz in Paris 2015 der Ausschluss von Kraftwerkskohle und Erdöl aus Teersanden und Ölschiefer dazu. Im Jahr 2017 wurde zudem das Kriterium „aus dem norwegischen Staatsfonds ausgeschlossene Unternehmen“ aufgenommen.

comdirect: Reichen die sogenannten ESG-Kriterien für die Selektion aus, die Umwelt, Soziales und Unternehmensführung berücksichtigen?

Rainer Unterstaller: Das geht für uns nicht weit genug – wir haben am Beispiel Elektromobilität festgestellt, dass wir die Kriterien weiter anpassen müssen. Denn viele junge Start-ups aus dem Segment Elektromobilität hatten ein schlechtes ESG-Rating, während klassische Automobilbauer über ein gutes ESG-Rating verfügten. Das liegt daran, dass bei dieser Bewertung die Produkte eines Unternehmens gar nicht berücksichtigt werden, obwohl der Effekt der Produkte auf die Umwelt ja erheblich ist. Deshalb haben wir nun seit diesem Jahr zusätzlich die Nachhaltigkeitsziele der UN, die Sustainable Development Goals (SDGs), mit aufgenommen. Unternehmen, die in unserem Anlageuniversum landen, müssen nicht nur einen positiven ESG-Score haben, sondern auch einen Beitrag zur Erreichung der SDG-Ziele leisten.

comdirect: Zu den wichtigsten Nachhaltigkeitszielen der UN zählt die Abschaffung von Hunger und Armut sowie die Verringerung der Ungleichheiten auf dieser Welt. Was antworten Sie Ihrem Sohn, wenn er Sie fragt, warum der Wohlstand so ungleich verteilt ist?

Rainer Unterstaller: Es muss für jeden von uns das Ziel sein, Armut zu bekämpfen. Am Ende hängt alles mit allem zusammen. Und jeder muss sich fragen, welchen Beitrag er leisten kann, um etwas zu bewirken. Wir unterstützen mit unserer Familie Menschen, die nicht auf der Sonnenseite des Lebens stehen, und versuchen es dadurch, es unseren Kindern vorzuleben. Die Diskussion mit Kindern ist dabei oft sehr fruchtbar. Sie glauben ja gar nicht, wie kreativ ihre Gedanken sind.

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