„In Europa zählt die Einzeltitelauswahl“

Portrait von Matthias Born, deutscher Fondsmanager mit Schwerpunkt Europa.
Portrait von Matthias Born, deutscher Fondsmanager mit Schwerpunkt Europa.
Matthias Born
Head of Investments bei der Berenberg Bank
Matthias Born gehört mit seinem Schwerpunkt Europa zu den profiliertesten deutschen Fondsmanagern. Er ist seit 2017 Chief Investment Officer Aktien und seit 2019 Head of Investments bei der Berenberg Bank. Zuvor war er bei Allianz Global Investors für europäische Fonds zuständig.

Als Manager von europäischen Aktien haben Sie es schwer. Über ein Jahrzehnt waren amerikanische Aktien stärker. Woran lag es?

Auf Indexebene haben die globalen Märkte und vor allem die USA Europa seit der Finanzkrise deutlich abgehängt. Das Wirtschaftswachstum bei uns war niedriger und auch bei der Gewinnentwicklung der Unternehmen lag Europa hinter den USA zurück. Dieser Rückstand lag im Wesentlichen an der unterschiedlichen sektoralen Aufstellung. Europas Aktienmarkt war in der Vergangenheit zu stark auf Sektoren ausgerichtet, die seit der Finanzkrise erheblichen strukturellen Gegenwind hatten – zum Beispiel der Bankensektor. Die USA dagegen profitierten stark von den Technologie-Highflyern.

Das hat sich zuletzt nicht wirklich geändert. Die Aktienmärkte wurden 2023 vor allem von den großen US-Technologiewerten wie Apple, Microsoft und Nvidia gezogen. Warum sollten Anleger da noch in Europa investieren?

2022 war es noch ganz anders. Da schnitt der Anlagemarkt Europa in der schwierigen Börsenphase weniger schlecht ab als die USA. Wir sollten zudem nicht verkennen, dass Europa in manchen Sektoren immer noch weltweit führend ist und sich auch der Euro STOXX 50 in seiner Zusammensetzung im Laufe der Jahre stark verändert hat. Die größten Unternehmen im Index sind längst nicht mehr Nokia oder Shell (Royal Dutch Shell), sondern Novo Nordisk und LVMH.

Was zeichnet diese Unternehmen aus?

Sie sind als Marktführer in Segmenten aktiv, die von der europäischen Industrie geprägt sind. Frankreich ist mit Kering, Hermès und Cartier wie kein anderes Land der Welt führend im Luxusbereich. LVMH bietet als größter Konzern des Segments ein großes Potpourri an Marken, die in ihren Segmenten Preise setzen und in inflationären Zeiten auch nach oben anpassen können. Novo Nordisk setzt als Diabetes-Spezialist die große Tradition der europäischen Pharmazieindustrie fort. Die Behandlung von Diabetes wird aufgrund der weltweit gestiegenen Lebenserwartung immer wichtiger und inzwischen werden Diabetes-Mittel auch zur Bekämpfung von chronischem Übergewicht eingesetzt.

Womit können europäische Unternehmen an der Börse noch punkten?

Die Unternehmensbewertungen sind im Durchschnitt deutlich günstiger als in den USA. Das war zwar auch in der Vergangenheit meist so. Aktuell liegt der Abstand jedoch auf einem Rekordhoch. In den USA notiert das durchschnittliche KGV im S&P 500 bei rund 18, im ähnlich breiten MSCI Europa nur bei rund zwölf. Im Vorjahr sank das Kurs-Gewinn-Verhältnis sogar auf das niedrigste Niveau seit über einem Jahrzehnt. Dieser Abstand dürfte sich mittelfristig tendenziell wieder verringern – zum Vorteil der europäischen Werte.

Das mag für Value-Investoren interessant sein. Aber was nützt es, wenn Aktien aus vielen Branchen seit 2000 auf der Stelle treten und der Euro STOXX 50 als Kursindex sein Hoch aus dem Jahr 2000 noch immer nicht überschritten hat?

Im Index sind weiterhin viele Underperformer überdurchschnittlich stark vertreten. So gehört Unternehmen aus den traditionellen Energien trotz der Erholungsrally im Jahr 2022 kaum die Zukunft. Und die stark gewichteten europäischen Banken kämpfen nicht nur mit den FinTechs, sondern auch mit einer strengeren Regulierung als in den USA. Die Autobranche und die Chemie bleiben ebenfalls unter Druck. Sie sind sehr kapitalintensiv und müssen gerade jetzt bei höheren Kosten investieren – zulasten der Gewinne.

Was bedeutet das für Anleger?

In Europa zählt die Einzeltitelauswahl. Während man in den USA mit ETFs auf den S&P 500 gerade von den Gewinnern aus dem Technologiesektor besonders profitiert, ist es auf unserem Kontinent andersherum. Der Index ist wegen seiner Gewichtung eher schwächer als der gesamte Markt. Zwar ändert sich das langsam, weil wachstumsstärkere Branchen wie Konsum, IT, Industriewerte und Healthcare heute in Europa-Indizes mehr Gewicht haben als noch vor 15 Jahren. Aber aktive Manager können sich noch stärker auf Sektoren konzentrieren, in denen europäische Unternehmen keinen Vergleich scheuen müssen.

Welche sind das für Sie?

Im Luxussegment und im Healthcare-Bereich haben sich die Unternehmensgewinne und Aktienkurse in Europa überdurchschnittlich gut entwickelt. Auch im Halbleitersektor stiegen die Erlöse in den vergangenen Jahren stärker als im Rest der Welt. Ohne die Maschinen der holländischen ASML etwa könnten die Chip-Produzenten nicht so effektiv produzieren und Infineon ist wesentlicher Profiteur der Elektromobilität. Bei Industriewerten gehört Europa traditionell zu den globalen Marktführern. Das technologische Know-how und gut ausgebildete Fachkräfte sind ein wichtiger Standortvorteil. Davon profitieren auch viele kleinere Unternehmen, die nicht in den großen Indizes vertreten sind. Im Small-Cap-Sektor ist Europa traditionell stark.

Aber haben nicht gerade die Small und Mid Caps 2022 stark gelitten und den Rückstand bisher nicht aufgeholt?

Das ist richtig. Internationale Investoren haben sich zunächst zurückgezogen und bei der Markterholung erst mal auf die Large Caps gesetzt. Allerdings hatten sich kleinere Unternehmen und Mid-Cap-Indizes vor der Corona-Krise über viele Jahre weit besser entwickelt als die Large Caps. Denn langfristig kommt es auf das Gewinnwachstum der Unternehmen an. Und dieses Gewinnwachstum ist bei kleineren Unternehmen im Durchschnitt höher als bei den Großunternehmen. Entsprechend bietet die Korrektur gute Einstiegschancen im Small- und Mid-Cap-Sektor.

Gilt das auch angesichts der weiterhin unterdurchschnittlichen Wachstumsaussichten der deutschen und europäischen Wirtschaft?

Natürlich wäre es noch schöner, wenn die Wachstumsraten in Europa deutlich anziehen würden. Aber ob Small, Mid oder Large Caps: Die europäischen Unternehmen sind sehr global ausgerichtet. Entscheidend für die Gewinn- und Aktienkursentwicklung ist daher in erster Linie der Zustand der Weltwirtschaft. Mit dem Ende der Leitzinserhöhungen könnte das Wachstum ab dem kommenden Jahr wieder anziehen.

Bei diesem Interview handelt es sich um einen redaktionellen Beitrag, der nicht die Meinung der comdirect – einer Marke der Commerzbank AG – wiedergibt. Die Auswahl der Wertpapiere und sonstigen Finanzinstrumente stellt kein Angebot, keine Aufforderung oder Empfehlung zum Kauf oder Verkauf von Finanzinstrumenten dar. Aktien unterliegen Kursschwankungen; damit sind Kursverluste möglich. Bei Wertpapieren, die nicht in Euro notieren, sind zudem Währungsverluste möglich. Die frühere Wertentwicklung ist kein verlässlicher Indikator für die zukünftige Wertentwicklung. Stand: 14.11.2023. Quelle: comdirect.de.

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