Elektroautos: Eine Million E-Autos pro Jahr
Elektroautos: Eine Million E-Autos pro Jahr
© nrqemi via Getty Images/iStockphoto

Interview: „Eine Million E-Autos – pro Jahr!“

Die E-Mobilität steht vor dem Durchbruch. Autoanalyst Frank Schwope erwartet, dass deutschen Herstellern die Aufholjagd gelingt.

Frank Schwope

Frank Schwope
gehört zu den profiliertesten deutschen Analysten für Automobilaktien. Er ist seit dem Jahr 2000 für die Nord/LB tätig.

comdirect: Herr Schwope, war das Jahr 2018 ein Annus horribilis für die Automobilbranche?
Frank Schwope: In der Tat war 2018 mit dem fortgesetzten Dieselskandal, den zunehmend drohenden Fahrverboten, der Zunahme der weltweiten Handelskonflikte und der Verhaftung von Carlos Ghosn, Chef von Renault-Nissan-Mitsubishi, extrem schwierig: All diese Faktoren haben die Märkte belastet und die Aktienkurse gedrückt. In der zweiten Jahreshälfte kam auch noch ein Absatzproblem dazu: Viele Autobauer haben für ihre Fahrzeuge nicht rechtzeitig die neue Verbrauchsnorm Worldwide Harmonised Light-Duty Vehicles Test Procedure (WLTP) geschafft und deshalb auf Halde produziert.

comdirect: Wird es 2019 einfacher?
Frank Schwope: Einige Faktoren wie etwa das WLTP-Problem werden 2019 entfallen oder sich abmildern, zentrale Probleme aber bleiben weiter bestehen. Allein wegen Präsident Trump und seiner „America First“-Politik ist Unruhe programmiert. Zölle auf Stahl und andere Importe belasten alle Automobilhersteller, auch amerikanische. Zudem müssen die Automobilbauer 2019 weiterhin massiv in die Elektrotechnologie und das autonome Fahren investieren.

comdirect: Angela Merkel hat mal gesagt, bis 2020 würden eine Million Elektroautos auf deutschen Straßen fahren. Ist die Wette verloren?
Frank Schwope: Ganz klar: Der Durchbruch ist noch nicht geschafft, das Ziel wird weit verfehlt. Bisher mangelt es in Deutschland an der Infrastruktur, die angebotenen Autos sind zu teuer, und sie haben nicht genug Reichweite. Aber das wird sich in den nächsten Jahren zügig ändern. Die Preise werden sinken, die Reichweiten steigen und E-Autos für viele Einsatzzwecke erste Wahl sein. Ende der 2020er-Jahre könnte rund ein Drittel der neu zugelassenen Autos in Deutschland elektrisch fahren. Bei rund drei Millionen Neuzulassungen entspräche das einer Million E-Autos – pro Jahr.

comdirect: Wäre das beim aktuellen Energiemix überhaupt ökologisch sinnvoll?
Frank Schwope: Wenn für das elektrische Fahren fossile Energieträger verstromt würden, dann sicher nicht. Aber das wird sich bis Ende der 20er-Jahre hoffentlich geändert haben. Man darf aber auch nicht vergessen, dass die Batterien der E-Autos aus Materialien bestehen, die die Umwelt belasten. Zudem wird ein erheblicher Teil der gesamten Energie und Umweltverschmutzung im Lebenszyklus eines Autos schon bei der Herstellung benötigt bzw. verursacht. Insofern wäre es manchmal sinnvoller, einen alten Benziner oder gar einen alten Diesel bis zur Schrottreife zu fahren. Allein: Das nützt dem Besitzer wenig, wenn er damit nicht in eine Umweltzone fahren darf.

comdirect: Der politische Wille fordert weltweit Elektroautos. Haben die deutschen Autobauer das unterschätzt und den Trend zum Elektromobil verschlafen?
Frank Schwope: Tesla, Renault und Toyota mit der Hybridtechnik sind in den vergangenen Jahren vorangeprescht. Die deutschen Autobauer haben sich in dieser Zeit auf konventionelle Technik konzentriert und damit viel Geld verdient. Mit Ausnahme von BMW haben sie darüber die Elektromobilität etwas vernachlässigt. Aber es gibt ausreichend Kapital, um massiv nachzurüsten und dann zügig hochwertige E-Fahrzeuge auf den Weg zu bringen.

comdirect: Können die deutschen Hersteller durch ihren Rückstand bei der Elektromobilität ihren Premiumstatus verlieren?
Frank Schwope: Nein, denn diesen Status haben sie sich über Jahrzehnte aufgebaut. Audi etwa hat mit der Quattro-Technik und dem Claim „Vorsprung durch Technik“ Jahrzehnte gebraucht, um die heutige Position zu erreichen. Das werden Hersteller aus China nicht so schnell toppen können. Es ist richtig, dass die Deutschen beim Elektroauto eine ihrer Kernkompetenzen nicht mehr ausspielen können – den Motorenbau. Aber der Premiumstatus beruht eben nicht nur auf dem Motor. E-Autos sind weniger komplex und versprechen langfristig gerade im Premiumsektor gute Margen.

comdirect: Zunächst erfordern die neue E-Technik wie auch das autonome Fahren große Investitionen: Steht dafür bei den Deutschen genügend Kapital zur Verfügung?
Frank Schwope: Die deutschen Unternehmen haben in den vergangenen Jahren Rekordgewinne erwirtschaftet. Ausreichende Reserven sind da – und in den vergangenen Jahren wurde ja etwa bei BMW bereits die Basis gelegt. Mit dem i3 und i8 konnte der Konzern zwar anfangs keine großen Verkaufserfolge feiern. 2018 verkaufte der Konzern aber weltweit über 100.000 elektrifizierte Mobile. Und die Tendenz ist stark steigend.

comdirect: BMW ist die Ausnahme, VW und Daimler hinken hinterher. Hat der VW-Konzern zu viel mit dem Dieselgate aufzuarbeiten und deshalb zu wenig Kapazitäten für die Zukunftstrends?
Frank Schwope: Die Schadenersatzzahlungen sind happig. Rund 30 Milliarden Euro wurden bereits fällig, weitere 10 bis 20 Milliarden Euro können dazukommen. Aber wenn ein Autohersteller diese außerordentlich hohen Kosten stemmen kann, dann der Volkswagen-Konzern. Immerhin verkauft er seit 2017 mit seinen zahlreichen Marken weltweit die meisten Autos. Aufgrund der Gleichteilstrategie und des „modularen Querbaukastens“ hat der Konzern noch erhebliche Sparpotenziale. Zudem ist die Aktie aktuell günstig bewertet. Für mich ist VW eine Kaufposition.

comdirect: Daimler hat 2018 zweimal eine Gewinnwarnung abgegeben – versprechen Sie sich vom 2019 anstehenden Wechsel auf dem Chefsessel neuen Schwung?
Frank Schwope: Dieter Zetsche hat große Verdienste und Daimler nach einer tiefen Krise wieder nach oben geführt. Zuletzt aber ähnelte er einer „lame duck“. Zudem hat der Konzern die WLTP-Umstellung verpatzt, und in den USA drohen Diesel-Regressforderungen, allerdings in weit geringerem Maße als bei VW. Der neue Konzernchef Ola Källenius tritt nach der Hauptversammlung im Mai an. Unter ihm könnte Daimler nach einer Orientierungsphase schnell durchstarten. Die Basis stimmt: Daimler hat aktuell eine recht starke Modellpalette – und Mercedes ist die meistverkaufte Massen-Premiummarke der Welt.

comdirect: Die bekannteste Premiummarke unter den Elektroautos aber ist Tesla. Können Daimler und Co. den Vorsprung von Elon Musk und Tesla aufholen?
Frank Schwope: Mit Sicherheit. Bis vor Kurzem hätte ich sogar eine Tesla-Insolvenz innerhalb der nächsten Jahre nicht ausgeschlossen. Mit dem dritten Quartal 2018 hat Elon Musk zwar endlich gezeigt, dass er schwarze Zahlen erwirtschaften kann. Die Frage ist: Schafft er das auch im Gesamtjahr 2019? Und: Ist der Gewinn auch wirklich nachhaltig, wenn die Konkurrenz beim E-Auto Ernst macht? Die Marke Tesla ist stark und wird in jedem Fall überleben. Aber es ist längst nicht sicher, dass sie selbstständig bleibt.

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