Wer langfristig plant und fünf Jahre Zeit hat, ist mit europäischen Aktien gut bedient, meint Dr. Georg Graf von Wallwitz. Was Anleger trotzdem beachten sollten, erklärt er im Interview.
Dr. Georg Graf von Wallwitz
ist Gründer und Geschäftsführender Gesellschafter der Eyb & Wallwitz Vermögensmanagement GmbH in München.
comdirect: Im Oktober hat es die Börsen weltweit kalt erwischt. Werden wir in diesem Jahr noch eine Herbstrally sehen oder bleiben die dunklen Wolken am Börsenhimmel?
Graf von Wallwitz: Wir haben tatsächlich eine Reihe von Themen, die wir ernst nehmen sollten. Die offensichtlichsten: die Zukunft Italiens und der Eurozone sowie die Zinsen in den USA.
comdirect: Sie sehen in Italien eine ernsthafte Bedrohung für die EU?
Graf von Wallwitz: Es zeigt sich das, was wir schon immer wussten: Die Währungsunion ist und bleibt eine Fehlkonstruktion, grundlegende Probleme sind nicht gelöst. Der Unterschied zu früher: Das Personal in Italien ist nicht europafreundlich eingestellt. Die Regierungsparteien Fünf Sterne und Lega Nord hatten im Wahlkampf massive Erleichterungen für die Bürger angekündigt, darunter Steuererleichterungen, vereinfachte Regeln für Rentner und ein Grundeinkommen. Das würde den Haushalt sprengen, die EU muss darauf reagieren. Diese Verunsicherung ist auch an den Börsen zu spüren.
comdirect: Erwarten Sie, dass Italien ernst macht und der EU den Rücken zudrehen wird?
Graf von Wallwitz: Das erwarte ich nicht, auch für Italien steht viel zu viel auf dem Spiel. Nachdem die Renditen italienischer Staatsanleihen in die Höhe schossen, hat die italienische Regierung schnell einen Rückzieher gemacht und ihre Bündnistreue bestätigt. Die Wahrscheinlichkeit, dass Italien binnen drei Jahren aus der EU austreten wird, sehe ich bei 10 %.
comdirect: Was erwarten Sie von der US-Wirtschaft?
Graf von Wallwitz: Die Börsen in den USA sind sehr gut gelaufen und die Unternehmen zum Teil hoch bewertet. Jetzt könnte die starke Konjunktur der Wirtschaft zum Verhängnis werden.
comdirect: Eine starke Wirtschaft als Risiko?
Graf von Wallwitz: In diesem Fall ja. Es klingt paradox, aber schwächere Konjunkturdaten könnten die Börse stützen. Denn aktuell präsentiert sich die US-Wirtschaft so stark, dass die Notenbank Fed gar nicht anders kann, als die Zinsen anzuheben. Steigende Zinsen verteuern den Dollar. US-Exporte werden also teurer, US-Importe dagegen günstiger. Das Gegenteil dessen also, was US-Präsident Donald Trump erreichen will…
comdirect: Trump setzt auf Protektionismus und hat weitere Zölle auf Ware aus China verhängt. Werden die Folgen eines Handelskrieges unterschätzt?
Graf von Wallwitz: Ich denke, ja. Die Folgen zeigen sich ja nicht unmittelbar und sie sind nur schwer auszumachen – alle haben am Ende etwas weniger Geschäft. Keine Volkswirtschaft schlittert deswegen in eine Rezession, aber die globale Wirtschaft wird langsamer wachsen. Ich denke, dass diese Effekte in den USA noch nicht eingepreist sind.
comdirect: US-Unternehmen haben ihre Gewinne massiv ausgeweitet. Sind Unternehmensgewinne nicht der entscheidende Treiber an den Börsen?
Graf von Wallwitz: Unternehmensgewinne spielen eine tragende Rolle am Aktienmarkt – neben den Zinsen, den Erwartungen und der Liquidität. Die Gewinne von US-Unternehmen – vor allem aus dem Technologiesektor – sind unter dem Strich in den vergangenen zehn Jahren sehr stark gewachsen. Zuletzt gab es zudem Rückenwind durch die Steuerreform. Das waren allerdings Einmaleffekte, die sich nicht wiederholen lassen. Ich könnte mir vorstellen, dass die US-Konjunktur im kommenden Jahr einen Dämpfer erhalten oder sogar in eine Rezession rutschen wird. Schwächere Konjunktur und hohe Zinsen sind kein guter Boden für Wachstum.
comdirect: Der Internationale Währungsfonds (IWF) erwartet für die US-Wirtschaft im kommenden Jahr ein stattliches Plus von 2,5 %.
Graf von Wallwitz: Die Wachstumserwartungen für die USA fallen tatsächlich sehr weit auseinander – die Prognosen gehen von plus 3,5 % bis hin zu einer Rezession. Das zeigt, wie groß die Unsicherheit ist.
comdirect: Was heißt das für Ihre Aktienauswahl? Keine US-Werte ins Depot?
Graf von Wallwitz: Nein, in unserem Fonds Phaidros Balanced haben wir bei einer Aktienquote von 50 % aktuell 9 % Technologiewerte, das macht 18 % des Aktienanteils. Die meisten Technologiegiganten kommen aus den USA. Sie erwirtschaften anders als zur Jahrtausendwende Gewinne und sind zum Teil nicht einmal hoch bewertet. Die Unternehmen sind quasi Monopolisten. Ihre Geschäftsmodelle ermöglichen es ihnen, die Kunden immer weiter zu melken. Ob Amazon, Alphabet, Facebook oder Apple: Aus deren Ökosystem kommt man so schnell nicht raus.
comdirect: Erwarten Sie zum Jahresende einen Endspurt an den Börsen?
Graf von Wallwitz: Nicht in den USA. In Europa dagegen ist ein Endspurt möglich, wenn das Italien-Thema vom Tisch ist. Finanzielle Keuschheit in Italien wäre für 5 bis 10 % in den Kursen gut.
comdirect: Welchen Rat können Sie Anlegern geben?
Graf von Wallwitz: 2019 wird es nach unserer Einschätzung noch ungemütlicher als in diesem Jahr. Aber das sollte niemanden dazu veranlassen, den Markt timen zu wollen oder auf einen Crash zu warten, der dann doch nicht kommt. Wer langfristig plant und mindestens fünf Jahre Zeit hat, ist in europäischen Aktien gut aufgehoben.
Aktien unterliegen Kursschwankungen, damit sind Kursverluste möglich. Die frühere Wertentwicklung ist kein verlässlicher Indikator für die zukünftige Wertentwicklung. Die Beschreibung der Wertpapiere stellt keine Kauf- oder Verkaufsempfehlung dar. Die Darstellung gibt nicht die Meinung von comdirect wieder. Sie dient ausschließlich der Information und stellt keine Anlageempfehlung dar. Stand: 12.12.2018.