Fehler gehören zum Leben – irren ist einfach menschlich. Aber müssen wir bei der Geldanlage deshalb gleich in jede Falle tappen? Unser Dossier zeigt Ihnen, wie Sie Fehler erkennen und vermeiden.
Der Mensch ist ein seltsames Wesen. Er fürchtet sich vor Haien, nicht aber vor Kokosnüssen. Er hat Angst vorm Fliegen, derweil er mit Vollgas über die Autobahn zum Flughafen rast. Er liebt Auktionen und wählt beim Telefonieren und auch beim Sport bevorzugt eine Flatrate, weil er Geld sparen will.
Logisch ist das alles nicht. Das Risiko, von einem Hai angegriffen zu werden, geht bei Normalsterblichen gen null, während eine Kokosnuss einem im Urlaub schon einmal auf den Kopf fallen könnte – schließlich rauscht alle 1,34 Sekunden ein solches Zwei-Kilogramm-Geschoss irgendwo aus großer Höhe zu Boden. Gemessen am tatsächlichen Risiko ist auch die Angst vor dem Fliegen irrational – der Weg im Auto hin zum Flughafen ist weitaus gefährlicher.
Bei Auktionen sparen wir selten, sondern zahlen meist drauf – schließlich wollen wir „gewinnen“. Und die Flatrate? Fühlt sich gut an, aber rechnet sie sich? Untersuchungen aus den USA belegen: Wer nur für den tatsächlichen Besuch des Fitnessstudios zahlt, spart im Schnitt sieben US-Dollar pro Sportstunde.
Bei der Geldanlage ist es um den Sinn für Realitäten kaum besser bestellt. Wir lassen uns von Emotionen lenken und belügen uns schon bei der Frage, wie viel Risiko wir eigentlich finanziell und psychisch verkraften. Warum ist das so? Und warum lernen wir (fast) nie aus Fehlern, sondern wiederholen sie fast schon trotzig, obwohl wir es besser wissen müssten? Antworten geben Hirnforscher und Ökonomen. Sie erklären, wie Biologie und Investments zusammenspielen. Und sie verraten, wie Anleger sich vor unliebsamen Folgen schützen können.
Geld aktiviert Bereiche im Gehirn, die auch durch Nahrung oder Sexualpartner angeregt werden
Professor Dr. Bernd Weber, Neuroökonom
Verstand setzt aus
Vorab zu Ihrer Beruhigung: Wenn es ums Geld geht, setzt der Verstand bei den meisten Menschen aus. Je besser die Gewinnaussichten, desto stärker die vernebelnde Wirkung. Professor Bernd Weber, Neuroökonom an der Universität Bonn und Leiter der Geschäftseinheit Neuroeconomics der Life & Brain GmbH, kann das sogar bildlich belegen. Dazu hat er Probanden in die Röhre gelegt. Mittels Magnetresonanztomografie (MRT) wird sichtbar gemacht, welche Gehirnregionen wann wie stark durchblutet und ergo aktiv sind – etwa wenn wir Entscheidungen treffen. „Im MRT zeigt sich, dass Geld eine extrem starke Wirkung auf unser Gehirn hat“, so der Wissenschaftler. „Es aktiviert Bereiche, die auch durch Nahrung oder Sexualpartner angeregt werden.“
Kein Wunder also, dass es schwerfällt, die Dinge unter Kontrolle zu halten. Wir sind eben biologische Wesen und lechzen nach dem Glückshormon Dopamin. Gewinne lassen uns wie Sieger fühlen, aber weil wir uns daran gewöhnen, brauchen wir immer mehr, um das positive Gefühl zu erzielen. Verluste dagegen tun uns so weh, dass wir die Freude am Gewinn gar nicht mehr wahrnehmen können. 1.000 Euro Gewinn und 1.000 Euro Verlust machen also niemals null. Selbst 1.000 Euro Gewinn und neunmal 100 Euro Verlust werden als Niederlage wahrgenommen.
Das Gehirn ist ein ewiges Minenfeld, weil wir durch Abkürzungen permanent Fehlschlüsse produzieren“
Professor Dr. Walter Krämer, Mathematiker
Im Scan zeigt sich auch, dass es bei Menschen offensichtlich eine Grunddisposition für den Umgang mit Risiken gibt. „Die Hirnregionen bei risikofreudigen und risikoaversen Anlegern sind unterschiedlich aktiv“, sagt der Neuroökonom. Kollegen von ihm von der Universität Bonn konnten zeigen, dass große Menschen aus Elternhäusern mit hohem Bildungsniveau im Schnitt risikofreudiger (und übrigens auch glücklicher) als kleinere Menschen sind. Erklärt das, warum Frauen bei der Geldanlage weniger Risiken schultern wollen? „Frauen sind unter dem Strich risikoaverser“, weiß Weber. „Und je komplexer die Situation, desto eher handeln wir aus dem Bauch heraus.“
Risikoscheu oder risikoavers – das sagt erst einmal wenig über den Erfolg bei der Geldanlage aus. „Gier frisst Hirn“ heißt es zwar an der Börse – wer zu viel will und sich überschätzt, riskiert mitunter Verluste. Im Zinstief aber kann auch die Angst vor Risiken in die Verlustzone führen, weil die Inflation am unverzinsten Kapital nagt. Möglich also, dass man höhere Risiken tragen muss, um Vermögen aufbauen zu können. Was aber ist Risiko überhaupt?
Risikokompetenz fehlt
Professor Gerd Gigerenzer, Direktor des Harding-Zentrums für Risikokompetenz am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin, unterscheidet zwischen Ungewissheit und Risiko. Ungewissheit ist diffus und damit unberechenbar, Risiken dagegen lassen sich kalkulieren und ergo optimieren. Dazu allerdings, so seine Einschätzung, fehle den meisten Menschen das Handwerkszeug. „Menschen wiederholen viele Fehler, weil die Risikokompetenz nicht ausgebildet ist.“
Der Umgang mit Zahlen und Wahrscheinlichkeiten fällt den meisten Menschen schwer. Selbst der Mathematiker Gottfried Wilhelm Leibniz, der Erfinder der Dezimalrechnung, soll Wahrscheinlichkeiten falsch berechnet haben, so Walter Krämer, Professor für Statistik an der Universität Dortmund. „Bei mir wäre Leibniz durch die Klausur gefallen.“
Woran es liegt? „Am Schaltmechanismus im Hirn“, sagt Krämer. Das Gehirn sei ein ewiges Minenfeld, weil wir durch Abkürzungen permanent Fehlschlüsse produzierten. „Genetisch gleichen wir Urwaldaffen. Das Risikoverhalten ist seit Millionen Jahren tief verankert, obwohl es unter den veränderten Lebensbedingungen längst kontraproduktiv ist.“ Beispiel Gift im Essen: Früher war es überlebenswichtig, Gift im Essen zu meiden. Dank innovativer Analysemethoden werden heute aber bereits kleinste Giftmengen aufgespürt – und Menschen reagieren in Panik. „Als der Dioxinskandal durch die Medien geisterte, haben Verbraucher über Wochen keine Eier mehr gegessen“, erinnert sich Krämer. „Dabei hätten sie drei Tonnen täglich essen müssen, um ihre Gesundheit zu gefährden.“
„Die Suche nach dem Optimum ist das sicherste Rezept zum Unglücklichsein“
– Professor Gerd Gigerenzer, Psychologe und Risikoforscher
Schaltkreise im Hirn neu zu verlegen, ist schwer. „Zumal in Gelddingen“, weiß Bernd Weber, „weil der Wohlfühlfaktor bei Entscheidungen eine wichtige Rolle spielt.“ Das erklärt auch den Tunnelblick. Gesucht werden in erster Linie Informationen, die die eigene Position bestätigen. Gegensätzliche Informationen fallen einfach unter den Tisch.
Was also tun, um zu guten Ergebnissen zu gelangen? Helfen könnten zum Beispiel veränderte Rahmenbedingungen. Opt-out statt Opt-in – also aktiv Nein sagen müssen, anstatt aktiv zuzustimmen. In den USA wurde das Prinzip auf Anregung des amerikanischen Verhaltensforschers Richard Thaler bei der staatlich gestützten betrieblichen Altersvorsorge eingeführt. Ergebnis: Die Zahl derer, die für das Alter vorsorgen, ist seitdem deutlich gestiegen. Genauso könnte es hilfreich sein, zukünftige Gehaltserhöhungen für die Altersvorsorge zu nutzen. „Das tut weniger weh, weil man nichts hergeben muss“, sagt Neuroökonom Weber. „Es entsteht nicht das Gefühl eines Verlustes.“
Bernd Ankenbrand, Professor an der Hochschule für angewandte Wissenschaften Würzburg-Schweinfurt, empfiehlt, zur Selbstüberlistung einfach einmal den Blickwinkel zu ändern – weg vom Risiko, hin zu Lebenssituationen. Was will ich etwa bis 2035 erreichen? Viele Fragen beantworteten sich bei dieser Betrachtung von selbst.
Einfach nur gut genug
Gerd Gigerenzer rät in komplexen Situationen zu einfachen Heuristiken – Strategien also, die mit begrenztem Wissen und angemessenem Aufwand zu guten Lösungen führen. Für Anleger heißt das: eigene Ziele setzen, nur kaufen, was man versteht, Risiken streuen, auf Gebühren achten und nach festen Regeln investieren – etwa ein Drittel in Aktien, ein Drittel in Festverzinslichen und ein Drittel in Immobilien. „In Situationen von Unsicherheit werden wir immer auch Fehler machen“, so der Psychologe.
Einen Fehler jedoch sollten wir in allen Lebenslagen vermeiden, ob bei der Geldanlage, der Partnerwahl oder dem simplen Kauf einer Hose: uns stets auf die Suche nach dem Optimum zu begeben. „Das ist das sicherste Rezept zum Unglücklichsein“, mahnt Gigerenzer. Glücklicher mache ein beherztes „gut genug“.