- Die beste Zeit für den Vermögensaufbau ist – jetzt.
- Kosten spielen bei der Altersvorsorge eine wichtige Rolle.
- Bei Index-Investitionen sinkt das Risiko mit der Zeit.
- Bei Einzelwerten steigt das Risiko mit der Zeit.


Das Jahr 2022 war für Anleger nicht vergnügungssteuerpflichtig. Aktien und Anleihen sanken gleichermaßen. Sind wir mit der gesetzlichen Rente oder mit privaten Rentenversicherungen doch besser bedient?
Nein. Die gesetzliche Rente ist eine Basisvorsorge für alle Arbeitnehmer. Aber sie reicht kaum aus, um im Alter sorgenfrei leben zu können. Bei der privaten Vorsorge geht es darum, flexible und kostengünstige Lösungen zu finden. Produkte in einem Mantel wie private Rentenversicherungen, ob klassisch oder fondsgebunden, haben auf jeden Fall deutlich höhere Kosten als Aktien, Anleihen, Fonds oder ETFs.
Privater Vermögensaufbau und Altersvorsorge scheinen für Anleger oft kompliziert. Stimmt das?
In Zeiten von Direktbanken und Indexfonds ist der Vermögensaufbau mit einfachen Produkten so unkompliziert wie noch nie. Aber es ist auch nicht trivial. Man sollte die Themen Wirtschaft und Finanzanlage schon grundsätzlich verstehen. Dann braucht es für den Vermögensaufbau eine Struktur, die der eigenen Risikotragfähigkeit entspricht. Und die Disziplin, den eingeschlagenen Weg auch in Krisensituationen einzuhalten. Dazu gehört auch, einmal im Jahr die Anlagestruktur und die Entwicklung zu prüfen.
Ist die schlechte Börsenentwicklung im Jahr 2022 ein Anlass, über den Aktienanteil bei der Altersvorsorge nachzudenken?
Nein. Aktionismus aufgrund einer einzigen Jahresperformance ist fehl am Platz. Schwankungen sind an den Aktienmärkten ganz normal: Verkaufen oder aus ihren Sparplänen aussteigen sollten Anleger gerade jetzt nicht. Denn nach Krisen gibt es oft eine schnelle Erholung, wie wir im 4. Quartal 2022 gesehen haben. Zudem haben wir nach turbulenten Jahren endlich wieder „normalere“ Märkte: Die Negativzinsen sind passé, die Tech-Blase ist geplatzt. Allerdings könnte man nach dem Jahr 2022 über die Gewichtung der Komponente „Anleihen“ nachdenken.
Warum?
Eigentlich sollen Rentenpapiere ja für Ruhe im Depot sorgen und die schwankenden Aktienmärkte zum Teil ausgleichen. 2022 brachten sie aber ein größeres Minus als Aktien. Und in den Jahren zuvor kam bei den anhaltenden Nullzinsen im Gegensatz zu Aktien kaum Rendite heraus. Da die meisten Anleger mit der gesetzlichen Rente und ggf. Immobilien und privaten Rentenversicherungen konservativ aufgestellt sind, sollten sie bei der privaten Altersvorsorge und dem Vermögensaufbau weitgehend auf die Aktienmärkte setzen. Denn für Eigenkapital wie Aktien gibt es langfristig immer eine höhere Prämie als für Fremdkapital wie Anleihen.
Welche Renditen sind dann langfristig zu erwarten?
Die Aktienmärkte sind über viele Jahrzehnte im Schnitt jährlich um etwa 7 % bis 9 % vor Inflation gestiegen. Zuletzt war es etwas weniger, aber dafür waren ja auch die Inflationsraten bis 2021 lange sehr niedrig. Fast alle Aktienmärkte haben einen mehr oder weniger großen Teil zu der jahrzehntelangen Performance beigetragen. Bei einer jährlichen Rendite von 7 % verdoppelt sich das eingesetzte Kapital dank des Zinseszinseffektes innerhalb von zehn Jahren. In schwächeren Zeiten kann es auch einmal länger dauern. Aber grundsätzlich ist es nicht die Frage, ob man sein Kapital verdoppelt, sondern nur, in welchem Zeitraum das gelingt.
Sollten Anleger auf Einzelwerte setzen? Oder sind für langfristige Ansparvorgänge breit gestreute Lösungen notwendig?
Breite Streuung ist gerade für die Altersvorsorge unabdingbar. Denn für den Gesamtmarkt sinken die Risiken über die Zeit, bei Einzelunternehmen dagegen steigen sie mit der Zeit. Die Wirtschaft ist brutal und dynamisch. Niemand weiß, welches Unternehmen in 20 Jahren das beste Auto, das beste Smartphone oder die beliebteste Limo hat. Allein in Deutschland sind bekannte Firmen und ihre Aktien verschwunden: Arcandor und Philipp Holzmann, Air Berlin und zuletzt Wirecard. Daher: Je breiter die Streuung, umso besser.
Reicht ein ETF auf den MSCI World Index dafür?
Ein solcher ETF ist ein guter Anfang, ausreichend ist er aber nicht. In den vergangenen 30 Jahren waren die Sieger unter den Assetklassen fast immer bunt gemischt. Danach lagen die US-Werte mehrere Jahre in Folge vorn. Daher sind US-Aktien im MSCI World aktuell mit rund zwei Drittel gewichtet. Das ist ein zu großes Klumpenrisiko. Anleger sollten auch die Chancen in Europa und den Schwellenländern sowie bei Small- und Midcaps nutzen.
Welche Bedeutung haben die Kosten von Vorsorgeprodukten?
Kosten sind bei der langfristigen Betrachtung sehr wichtig. Aktiv gemanagte Fonds haben häufig Kostenquoten mehr als 2 % pro Jahr. Das entspricht fast einem Drittel der durchschnittlichen Aktienmarktrendite. Um diese 2 % dauerhaft zu erwirtschaften, müssen Sie höhere Risiken eingehen. Zudem bekommen Sie nach Top-Jahren große Mittelzuflüsse, die Sie kaum noch so lukrativ anlegen können. Das Beispiel von Cathie Wood mit ihrem abgestürzten Arktic-ETF zeigt, dass Neuanlegern die Erfolge der Vergangenheit wenig nutzen.
Der typische Impuls des Anlegers ist „Verkaufen in schwachen Börsenphasen, kaufen, wenn es aufwärtsgeht“. Ist das richtig?
Das ist menschlich, aber aus finanzmathematischer Sicht wäre das Gegenteil richtig. Wenn es an der Börse kracht, steigt die Risikoprämie für Aktionäre an. Und gerade nach akuten Krisen legten die Kurse dann oft sehr schnell wieder zu. Das hat sich in der Corona-Krise im Frühjahr 2020 gezeigt. Aber auch im letzten Quartal des Jahres 2022. Zwischenzeitlich war der DAX mit über 20 % im Minus, abgeschlossen hat er das Jahr mit einem einstelligen Minus. Das ist nicht schön, aber kein Beinbruch.
Bedeutete das also: In der Krise soll man nachkaufen?
Bei Einzelwerten keinesfalls, denn man riskiert weitere Verluste. Beim gesamten Markt unbedingt ja, auch wenn es manchmal emotional schwerfällt. In unserem Global Portfolio One, einem Mischfonds auf ETF-Basis, zwingen wir uns sogar dazu: In normalen Börsenzeiten ist der Fonds mit 80 Prozent seines Vermögens via ETFs in über 8.000 Unternehmen der Welt breit investiert. 20 % des Fondsvermögens lagern dann in einer Sicherheitsreserve aus Staatsanleihen allerbester Bonität, teilweise sogar inflationsgesichert. Wenn die Kurse um 20 % unter das Allzeithoch des MSCI-World auf US-Dollar-Basis fallen, werden 10 % Anleihen zugunsten von Aktien-ETFs verkauft. So haben wir es im 2022 gemacht. Wenn die Aktienkurse um 40 % gefallen wären, hätten wir sogar auf 100 % Aktien aufgestockt.
Wann soll man mit der Vorsorge und dem Vermögensaufbau beginnen?
Die beste Zeit für den Vermögensaufbau ist jetzt. Wer sich besser damit fühlt, kann aber auch in zwei oder drei Tranchen einsteigen. Grundsätzlich sind Vermögensaufbau und Altersvorsorge sehr langwierige Prozesse. Wichtiger als das Timing beim Einstieg ist, dass man möglichst lange im Markt bleibt. Zudem sind die Einstiegschancen nach dem reinigenden Gewitter des Jahres 2022 aktuell nicht schlecht.
Und wenn aktuell noch nicht ausreichend Geld auf der hohen Kante liegt?
Dann sollten Anleger das investieren, was sie unter realistischen Annahmen erübrigen können und zudem mit einem Sparplan beginnen. Sobald sie monatlich mehr erübrigen können: aufstocken. Und wenn größere Summen wie Boni oder Erbschaften eingehen: zusätzlich einzahlen. Selbst wenn man dabei einen ungünstigen Zeitpunkt erwischt hat und ein, zwei oder drei Jahre bis zum Wiedererreichen des Einstiegskurses braucht – langfristig zahlen sich die Anlagejahre aus.
Bei diesem Interview handelt es sich um einen redaktionellen Beitrag, der nicht die Meinung der comdirect – einer Marke der Commerzbank AG – wiedergibt. Die Auswahl der Wertpapiere und sonstigen Finanzinstrumente stellt kein Angebot, keine Aufforderung oder Empfehlung zum Kauf oder Verkauf von Finanzinstrumenten dar. Aktien unterliegen Kursschwankungen; damit sind Kursverluste möglich. Bei Wertpapieren, die nicht in Euro notieren, sind zudem Währungsverluste möglich. Die frühere Wertentwicklung ist kein verlässlicher Indikator für die zukünftige Wertentwicklung. Stand: 16.01.2023; Quelle: comdirect.de