Rednerpult vor dem Weißen Haus in Washington
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© TriggerPhoto via Getty Images/ iStockphoto

Interview Vermögensverwalter: Börse: Auf Substanzwerte setzen

Vermögensverwalter Markus Steinbeis über den geringen Handlungsspielraum des neuen US-Präsidenten Joe Biden, Niedrigzinsen auf Jahrzehnte und sein Vertrauen in Aktien und Edelmetalle.

Markus Steinbeis

Markus Steinbeis

Markus Steinbeis ist Gründer und geschäftsführender Gesellschafter der Münchner Steinbeis & Häcker Vermögensverwaltung GmbH. Zuvor war er 13 Jahre lang als Spezialist für Substanzwerte-Strategien bei Pioneer Investments tätig und danach fünf Jahre lang Leiter Portfoliomanagement bei der Vermögensverwaltung Huber, Reuss und Kollegen.

comdirect: Herr Steinbeis, hat Sie der knappe Wahlausgang und die positive Börsenreaktion überrascht?

Markus Steinbeis: Dass es knapp wird, hat mich nicht wirklich überrascht. Die politische Demoskopie ist schon seit Längerem sehr fehleranfällig, die Abstimmungen bei der US-Präsidentschaftswahl 2016 und zum Brexit haben das gezeigt. Die euphorische Reaktion auf den extrem knappen Wahlausgang war allerdings vor allem im NASDAQ so nicht zu erwarten.

comdirect: Warum stiegen die Märkte dann trotz der lange unentschiedenen Wahl?

Markus Steinbeis: In der Tat ist neben dem NASDAQ zunächst auch der bekannte S&P 500 gestiegen. Er wird nach Marktkapitalisierung gewichtet. Ein anderer S&P-Index, bei dem alle Werte gleichwertig sind, hat sich dagegen kaum bewegt. Das zeigt: Profitiert haben in erster Linie die großen Schwergewichte aus der Technologie- und Pharmabranche. Denn mit einem Senat in Hand der Republikaner kann ein neuer Präsident Biden die von Marktteilnehmern befürchteten Maßnahmen kaum realisieren – etwa eine scharfe Regulierung der Technologiekonzerne bis zu einer möglichen Zerschlagung oder einer Bremse für Medikamentenpreise.

comdirect: Welche Impulse können dann überhaupt von einem Präsidenten Biden ausgehen?

Markus Steinbeis: Joe Bidens Handlungsspielraum ist eingeschränkt. Die Corona-Krise und die Budgetdefizite bestimmen die Agenda. Durch die zahlreichen großzügigen Hilfszahlungen lagen die verfügbaren Einkommen der Amerikaner bis August sogar einen Tick höher als vor der Krise. Dieses Konsum-Doping ist im August ausgelaufen und muss bis Ende des Jahres zwingend erneuert werden. Denn der Konsum ist die entscheidende Stütze der amerikanischen Wirtschaft. Zusätzliches Geld könnte für ein Paket mit Infrastrukturmaßnahmen aufgewendet werden – unter besonderem Fokus auf eine grüne Komponente.

comdirect: Trump trieb die Börsen mit massiven Steuersenkungen an. Droht jetzt eine Korrektur, wenn Biden zurückrudert?

Markus Steinbeis: Mit einem voraussichtlich republikanisch dominierten Senat sind Biden die Hände weitgehend gebunden. Entsprechend wird ein solcher Rollback bei den Steuern zunächst kaum möglich sein. Das könnte sich bei den Zwischenwahlen im Jahr 2022 ändern. Denn dann werden das Repräsentantenhaus komplett und der Senat zu einem Drittel neu gewählt. Gewinnen die Demokraten in beiden Kammern die Mehrheit, gäbe es ganz andere Gestaltungsmöglichkeiten. Aber bis dahin ist auch angesichts der wechselnden Pandemielage „Muddling through“ angesagt – „Durchwurschteln“ oder vornehmer ausgedrückt „Fahren auf Sicht“.

comdirect: Welche Branchen dürften von Biden profitieren?

Markus Steinbeis: Wie schon erläutert, sind umwälzende Änderungen in der Steuerpolitik und bei der Regulierung mit einem sogenannten „gespaltenen Kongress“ (republikanischer Senat, demokratisches Repräsentantenhaus) kaum möglich. Die extremen Niedrigzinsen werden noch länger andauern und auch das überlegene Wachstum spricht vordergründig weiterhin für Technologie- und Pharmaaktien. Insbesondere die Technologiewerte gelten nicht umsonst als hervorragende Unternehmen mit quasimonopolistischen Geschäftsmodellen, aber die Bewertungen vor allem bei den FAAMG-Aktien (Facebook, Apple, Amazon, Microsoft, Google/Alphabet) sind bereits sehr hoch und nach der Wahl noch einmal gestiegen.

comdirect: Halten Sie deshalb Zykliker für vielversprechender?

Markus Steinbeis: „Wirtschaft ist zu 50 % Psychologie“, sagte schon Ludwig Erhard. Es kann im Laufe des nächsten Jahres durchaus dazu kommen, dass die Menschen wieder Vertrauen in die Wirtschaft bekommen. Der entscheidende Schub könnte von einem wirksamen Impfstoff gegen das Corona-Virus ausgelöst werden. Danach dürfte eine nachhaltige Erholung der Weltwirtschaft einsetzen. Insbesondere zyklische Branchen wie Maschinenbau, Chemie und Automobilbau könnten zu einer Aufholjagd ansetzen. Selbst für die Unternehmen aus Luftfahrt, Touristik und Freizeit, deren Geschäft und deren Aktien vom Lockdown besonders hart getroffen wurden, gibt es dann wieder Chancen.

comdirect: Wie wird sich ein Präsident Biden auf die Weltwirtschaft auswirken?

Markus Steinbeis: An der Grundtendenz dürfte sich wenig ändern. Chinas Expansionsdrang bleibt bestehen und auch zwischen Europa und den USA gibt es weiterhin Interessenskonflikte. Ein entscheidender Unterschied allerdings: Das Gesprächsambiente und vor allem die Tonlage zwischen den Verbündeten werden deutlich verbindlicher werden. Es wird also meines Erachtens keinen strukturellen Politikwechsel geben, aber es könnte uns so vorkommen.

comdirect: Hat das Einfluss auf europäische Börsen?

Markus Steinbeis: Ich glaube weniger an einen direkten Einfluss durch die Politik Bidens und seine höflichere Rhetorik. Eher dürften sich die wirtschaftliche Entwicklung und die unterschiedlichen Branchenbewertungen bemerkbar machen. Wenn die Weltwirtschaft wieder anspringt, sollten zyklische Branchen überproportional anziehen. Davon profitieren dann die europäischen und vor allem die deutschen Indizes, weil hier besonders viele konjunkturabhängige Werte vertreten sind.

comdirect: Politische Börsen haben gemeinhin kurze Beine – sehen Sie einen Grund für eine langfristige Änderung der Portfoliostruktur?

Markus Steinbeis: Ob Blau für die Demokraten oder Rot für die Republikaner: Die Farbe des amerikanischen Präsidenten spielt für die Finanzmärkte schon eine gewisse Rolle. Entscheidender sind jedoch die aktuellen Zwänge und Entwicklungen durch die Pandemie und die langfristigen strukturellen Trends. Die Probleme müssen weiterhin mit den Mitteln der Geld- und Fiskalpolitik bekämpft werden. Daraus gibt es inzwischen gar keinen Ausweg mehr, weil steigende Zinsen angesichts der weltweiten Schuldensituation geradewegs in Unternehmens- und Staatsbankrotte führen würden. Das bedeutet: dauerhaft niedrige Leitzinsen und negative Realzinsen. Ich wage zu behaupten: Zu meinen Lebzeiten wird es keinen positiven Realzins mehr geben. Und ich bin „erst“ 51 Jahre alt.

comdirect: Anleihen fallen damit langfristig als Renditequelle aus. Womit wollen Sie dann noch Kapitalwachstum erwirtschaften?

Markus Steinbeis: In diesen Zeiten können allein Substanzwerte für Kapitalerhalt und eine langfristige Performance oberhalb der Inflationsrate sorgen. Wir vertrauen deshalb vor allem auf Aktien, daneben noch auf Immobilien und Edelmetalle. Unabhängig von dem Wahlausgang in den Vereinigten Staaten wird sich daran auch im Jahr 2021 nichts ändern.

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