Frau mit gelber Jacke sitzt auf einem Steg mit Panoramablick.
Frau mit gelber Jacke sitzt auf einem Steg mit Panoramablick.
© Jenny Sturm via Adobe Stock

Interview: Ausblick 2023 – „Die große Zeit der Tech-Werte ist vorbei“

Vermögensverwalter Markus Steinbeis im Ausblick 2023 über wiederkehrende Inflationsgefahren, drohende Rezession und sein Vertrauen in Substanzaktien und Edelmetalle.

2022 war ein sehr schwieriges Börsenjahr. Hat Sie das überrascht?

Das Ausmaß der Schwäche war nicht zu erwarten. Das Problem für professionelle Anleger ist dabei gar nicht mal der Einbruch der Aktienmärkte. Solche Rückschläge sind wir gewohnt. Es gab sie immer wieder, erst recht bei rapide ansteigenden Preisen und nach einem solchen Einschnitt wie dem Krieg gegen die Ukraine. Eklatant ist aber die gleichzeitige Schwäche am Rentenmarkt. Deshalb hat ein Musterportfolio aus 60 % Aktien und 40 % Anleihen in diesem Jahr so schlecht abgeschnitten wie seit 1937 nicht mehr. Und damit ist bei vielen die Schmerzgrenze erreicht oder gar überschritten.

Portraitbild Markus Steinbeis

Markus Steinbeis ist Gründer und geschäftsführender Gesellschafter der Münchner Steinbeis & Häcker Vermögensverwaltung GmbH. Zuvor war er 13 Jahre lang als Spezialist für Substanzwerte-Strategien bei Pioneer Investments tätig und fünf Jahre lang Leiter Portfoliomanagement bei der Vermögensverwaltung Huber, Reuss und Kollegen.

Zuletzt ging es wieder aufwärts. Stimmt Sie das positiv für das Jahr 2023?

An den Aktienmärkten ist das Minus nach der Erholung der vergangenen Wochen gar nicht mehr so dramatisch. Dieser Aufwärtstrend kann sich in den nächsten Monaten durchaus fortsetzen. Denn der Peak bei der Inflation scheint erst einmal erreicht zu sein, ein Großteil der Zinserhöhungen ist zumindest in den USA erfolgt. Ohne gravierende neue Belastungen wird die US-Inflation im Jahr 2023 deutlich fallen, auch in Europa wird sie allein schon wegen der Basiseffekte bei den Energiepreisen sinken. Sie machten zuletzt einen großen Teil der gesamten Preissteigerung aus. Denn 2022 stiegen die Preise für Öl und vor allem Gas im Vergleich zum Vorjahr extrem stark. 2023 wird dann mit den hohen Preisen von diesem Jahr verglichen.

Warum sind Sie mittelfristig skeptischer?

Die westliche Welt hat über Jahrzehnte die Dividende des Falls des Eisernen Vorhangs und der Globalisierung geerntet. Ganz gleich, was die Notenbanken auch machten: Die Inflation und die Marktzinsen blieben niedrig. So konnten die US-amerikanische Zentralbank Fed und die europäische Zentralbank EZB jeder Wirtschaftskrise mit Lockerungen wie Leitzinssenkungen und Anleihen-Aufkaufprogrammen begegnen und dennoch rutschten die Nominalzinsen sogar ins Minus. Aber diese Zeiten kommen nicht wieder. Der russische Krieg gegen die Ukraine und vor allem die anhaltende Konfrontation der USA und China sorgen jetzt für eine preistreibende Re-Nationalisierung. Der Rückenwind der Globalisierung wird zu einem Gegenwind.

Zunächst dürfte sich die Geldentwertung jedoch verlangsamen …

Das ist richtig. Aber wir haben inzwischen vergessen, dass Inflationen in Zyklen verlaufen. 2023 dürfte die Inflation allein schon wegen der Basiseffekte bei den Energiepreisen zurückgehen. Dadurch nimmt der Stress für Notenbanken und Märkte erst einmal ab. Aber die Kerninflation ohne Energie und Nahrungsmittel sinkt deutlich langsamer und außerdem wird die Zins- und Inflationsangst in Konjunkturangst umschlagen. Wenn in Europa die Rezession zuschlägt und gleichzeitig Staaten wie Italien unter hohen Zinsen leiden, wird sich die EZB zwischen Inflationsbekämpfung und Stabilisierung der Eurozone entscheiden müssen. Im Zweifel wird die EZB die Leitzinsen moderat halten und damit eine nächste Inflationswelle anheizen.

Wie sehen Sie die Aussichten für Deutschland?

Die deutschen Unternehmensgewinne werden vorerst nicht enttäuschen. Aber strategisch gehen Europa und vor allem Deutschland schwierigen Zeiten entgegen. Das deutsche Geschäftsmodell der Veredlung und Spezialisierung ist sehr energieintensiv. Wegen der hohen Energiepreise in Europa gibt es ein zunehmendes Kostenproblem. Der globale Kuchen wächst, aber die Stücke werden anders verteilt werden. Die Bedeutung Europas nimmt ab. Wenn es an Technologieoffenheit für Atomkraft und Fracking-Gas fehlt, steigen die Energiepreise noch stärker und verstärken den Trend.

Ist das Jahrzehnt der Tech-Aktien aus Ihrer Sicht Geschichte?

Die große Zeit der Tech-Werte ist vorbei. Für die unsicheren Kantonisten, die noch keine Gewinne erzielen, gilt das ohnehin. Sie werden es in einem inflationären Umfeld mit höheren Zinsen äußerst schwer haben. Aber auch für die großen Bluechips wie Amazon oder Facebook/Meta bin ich zunehmend pessimistischer. Sie sind trotz der Kurskorrekturen im Jahr 2022 immer noch recht ambitioniert bewertet. In steigenden Märkten dürften sie allein wegen ihrer hohen Gewichtung in den Indizes noch gut mitschwimmen. Eine Outperformance erwarte ich in den 2020er-Jahren aber von ihnen nicht mehr.

Achten Anleger grundsätzlich wieder mehr auf die Bewertung der Unternehmen?

Durchaus. Rohstoffe und Industriemetalle sind immer noch niedrig bewertet, auch aufgrund der nahenden Rezession. Aber sie werden bei der Umstrukturierung zu einer klimafreundlichen Wirtschaft gebraucht werden. Zudem bleiben Substanzwerte mit niedrigen Bewertungen gefragt. Wichtig ist bei ihnen ein starkes Geschäftsmodell, das ihnen in inflationären Zeiten eine gewisse Preissetzungsmacht sichert. Dazu gehören Werte aus dem Maschinenbau und nach dem Kurssturz auch wieder Halbleiterproduzenten. Äußerst inflationsresistent haben sich zuletzt auch Luxusgüterproduzenten gezeigt, obwohl ihre Aktien nicht billig sind.

Sind bei den aktuellen Renditen Anleihen wieder eine ernst zu nehmende Anlagealternative?

Längerfristig sind Anleihen wenig renditeträchtig. Aktuell bieten sich aber durchaus Chancen. Wer jetzt lang laufende Bundesanleihen, US-Treasuries oder erstklassige Unternehmensanleihen kauft, könnte bei einer Rezession und zurückgehenden Zinsen Kursgewinne erzielen. Allerdings sollte man bei der Auswahl auf Top-Qualität achten und Kreditrisiken meiden. Denn angesichts der absehbaren Rezession können hoch verzinste Anleihen von Unternehmen mit geringerer Bonität (High Yields) im Jahr 2023 in Schwierigkeiten geraten.

Können Kryptowährungen oder Gold das Portfolio stabilisieren?

Kryptowährungen sind hoch volatil und stecken immer noch in den Kinderschuhen. Das hat sich im Jahr 2022 einmal mehr gezeigt, zuletzt mit der Insolvenz von FTX. Stabilisierung sollten sich Anleger von Kryptos nicht versprechen. Etablierte Währungen wie Bitcoin oder Ethereum sind vielleicht für risikofreudige Anleger als kleine Depotbeimischung geeignet. Gold und andere Edelmetalle erscheinen uns dagegen bei schwacher Konjunktur und dann wieder sinkenden Zinsen durchaus attraktiv. In unseren Depots sind sie aktuell überdurchschnittlich hoch gewichtet.

Viele Anleger haben noch größere Cash-Reserven – sollten sie jetzt trotz allem einsteigen?

Die kommenden Jahre werden nicht einfach. Es sollte für Anleger erst einmal das Ziel sein, ihr Kapital real zu erhalten. Cash ist mittel- oder gar langfristig dabei keine Lösung – mit Tages- und Festgeld verliert man jedes Jahr nach Inflation mehrere Prozent an Wert. Da ist es sicherlich zielführender, über Sparpläne in die Aktienmärkte einzusteigen.

Bei diesem Interview handelt es sich um einen redaktionellen Beitrag, der nicht die Meinung der comdirect – einer Marke der Commerzbank AG – wiedergibt. Die Auswahl der Wertpapiere und sonstigen Finanzinstrumente stellt kein Angebot, keine Aufforderung oder Empfehlung zum Kauf oder Verkauf von Finanzinstrumenten dar. Aktien unterliegen Kursschwankungen; damit sind Kursverluste möglich. Bei Wertpapieren, die nicht in Euro notieren, sind zudem Währungsverluste möglich. Die frühere Wertentwicklung ist kein verlässlicher Indikator für die zukünftige Wertentwicklung. Stand: 12.12.2022; Quelle: comdirect.de

zurück zur Seite
dev
Nächstes Video
startet in sec.