

In Zeiten von Corona waren Reisen kaum möglich. Jetzt meldet die Reisebranche wieder Rekordzahlen bei den Buchungen, auch und besonders bei Fernreisen. Ist das ein Rückschritt in Sachen Nachhaltigkeit?
Nachhaltigkeit ist nicht eindimensional. Natürlich sehen wir zunächst den ökologischen Aspekt. Und da ist klar: Mehr Fernreisen bedeuten mehr CO2 und das belastet das Klima weltweit. Es gibt aber auch soziale und ökonomische Aspekte der Nachhaltigkeit. Der Tourismus ist für viele Länder des globalen Südens überlebenswichtig. Schon 14 Fernreisende sichern den Arbeitsplatz eines Menschen in einer Tourismusregion. Zudem liefert der Tourismus Einnahmen, um Kultur und Umwelt in den Ländern zu schützen. So hat während der Corona-Pandemie die Wilderei in afrikanischen Nationalparks massiv zugenommen, weil die Ranger nicht mehr bezahlt werden konnten. Schließlich gilt die Weisheit: Reisen ist das Gegenteil von Krieg. Wer sich auf Reisen begegnet, entwickelt Verständnis füreinander. Es kommt also auch auf die Motivation der Reise an: Ein Wochenende Christmas-Shopping in New York finde ich weniger ethisch und nachhaltig als einen Monat Trecking in Asien. Somit lässt sich kein klarer Strich unter die verschiedenen Nachhaltigkeitsaspekte ziehen, um zu klären, wie nachhaltig eine Reise ist.
Tourismusunternehmen werben inzwischen oft mit dem Siegel der Nachhaltigkeit. Worauf müssen Urlauber achten, um möglichst „nachhaltig“ zu reisen?
Entgegen der Werbung ist eine rundum nachhaltige Reise kaum möglich. Außer Sie starten zu Hause zu einer Fahrradtour und übernachten nur auf einem Natur-Campingplatz. Aber eine Bus- oder Bahnreise in ein Biohotel hinterlässt einen kleineren ökologischen Fußabdruck als eine Pauschalreise mit dem Flieger. Bei Kreuzfahrten muss man genau hinsehen: Ein Trip durch die Antarktis hat einen gewaltigen ökologischen Fußabdruck. Da fliegen Sie erst rund um den Globus und fahren dann mit wenigen Passagieren durch ein ökologisch hochsensibles Gebiet. Das ist ebenso wenig zeitgemäß wie Strände-Hopping in der Karibik. Aber inzwischen wurden einige Schiffe von Schweröl auf LNG umgerüstet, auch mit Brennstoffzellen wird experimentiert. Wenn Sie also mit dem Zug anreisen und dann mit einem LNG-Schiff mit 5.000 Mitpassagieren eine Ostseereise machen, ist das eine hocheffiziente und ökologisch durchaus akzeptable Reise. Denn alternativ könnte man in Rügen den Strand mit Hotels zupflastern für all die Urlauber, die mit dem Privatauto anreisen. Da stellt sich die Frage: Was ist nachhaltiger?
Bis 2045 soll Deutschland klimaneutral sein: Wie werden die Menschen dann reisen? Innerhalb Deutschlands und dann ganz gemächlich?
Reisen ist kein urmenschlicher Instinkt, sondern ein sozialgesellschaftliches Phänomen. Es gibt wohl ein Menschenrecht auf Urlaub, aber kein Menschenrecht auf grenzenloses Verreisen. Wir sind in Deutschland und Europa sehr lange mit Billigangeboten verwöhnt worden: Verreisen als Form der Freizeitgestaltung ist in den vergangenen Jahrzehnten für fast jeden erschwinglich geworden. Das wird sich ändern, bei den Fernreisen sind die Schnäppchenzeiten jetzt schon vorbei. Sorgloses Hin- und Herreisen ist aus ökologischer Sicht ein No-Go. Aber wir können unser Verhalten umprogrammieren. Statt fliegen zum Taxipreis brauchen wir eine Entschleunigung und eine Rückkehr zu alten Reisegewohnheiten. Wir werden regionaler verreisen. Und wenn es ein vernünftiges kontinentales Schienennetz mit Nachtzügen gibt, benötigen wir dafür in Europa auch kein Flugzeug mehr. Wer dann noch Fernreisen machen möchte, sollte sich dafür viel Zeit nehmen.