Holger Schmieding erwartet ein baldiges Abflauen der extremen Preissteigerungen. Mittelfristig sieht er die Inflation aber höher als das 2-%-Ziel der EZB.
Im November ging die Inflationsrate in Deutschland erstmals seit Langem wieder zurück. Haben wir das Schlimmste hinter uns?
Dr. Holger Schmieding ist seit 2010 Chefvolkswirt bei der Berenberg Bank, der ältesten Privatbank Deutschlands. Zuvor war er als Chefvolkswirt Europa für Bank of America Merrill Lynch in London tätig.
Wahrscheinlich haben wir den Inflationsgipfel erreicht. Nach einer Verschnaufpause im November und Dezember könnte die Rate im Januar zwar noch einmal anziehen. Für viele Haushalte steigen dann noch einmal die Energierechnungen. Auch mithilfe der Gas- und Strompreisbremse dürfte die Inflationsrate jedoch spätestens ab März spürbar zurückgehen.
Welche Entwicklung erwarten Sie für 2023 und 2024?
Zwar steigen mittlerweile auch die Preise für andere Güter und Dienstleistungen erheblich. Das liegt aber überwiegend an den astronomischen Energiekosten, etwa bei Friseuren. Ab März 2023 werden jedoch im Jahresvergleich die bereits hohen Energiepreise vom März 2022 angelegt. Zudem dürfte die Winterrezession die Spielräume für Unternehmen einengen, zusätzliche Kosten einschließlich der höheren Löhne auf die Verbraucher zu überwälzen. Dass sich Lieferkettenprobleme entspannen und Transportkosten gesunken sind, wird ebenfalls die Inflation mindern. Sofern die Energiepreise im Laufe der Zeit etwas nachgeben, kann die Inflation im Frühjahr 2024 wieder bei etwa 2 % liegen.
Muss sich Deutschland im kommenden Jahrzehnt auf Inflationsraten über 2 % einrichten?
Eindeutig ja. Der Mangel an Arbeitskräften wird sich im Trend in höheren Lohnzuwächsen ausdrücken. 3,5 bis 4 % Lohnwachstum pro Jahr dürften ab 2024 normal werden. Um weniger von China abhängig zu sein, werden Lieferketten neu aufgestellt und etwas höhere Kosten verursachen. Zudem tragen vermehrte Militärausgaben und die Kosten der Energiewende auf absehbare Zeit zum allgemeinen Preisauftrieb bei. Statt bei etwa 1,5 %, wie es seit Beginn des Euros der Fall war, könnte sich die deutsche Inflationsrate deshalb künftig bei etwa 2,5 % einpendeln.